Mediator Juan Gutierrez über die gescheiterten Friedens­bemühungen mit der ETA und das politische Kalkül hinter dem angekündigten Referendum. (Ein Interview für derStandard.at)


An den Beratern von Premier José Luis Rodríguez Zapatero lässt Juan Gutierrez kein gutes Haar: Bei den Gesprächen mit der ETA habe man von vornherein aneinander vorbeigeredet, meint der Mediator, der im Jahr 1998 bei den Friedensbemühungen der Regierung unter Premier José Maria Aznar mit der baskischen Terrororganisation involviert war.

Statt Zapatero zu warnen, dass der Prozess scheitern könnte, hätten sie ihn in seinem Kurs noch bestärkt, kritisiert er. Mit dem Gründer des Friedenszentrums Gernika Gogoratuz sprach Sonja Fercher.

derStandard.at: Wie erklären Sie sich den Bruch der Waffenruhe durch die ETA? Hat die Gruppe sie nur missbraucht, um aufzurüsten?

Gutierrez: Natürlich hat die ETA während der Waffenruhe versucht, ihre Schlagfähigkeit aufrecht zu erhalten. Gerade jetzt zeigt sich, dass sie eine beachtliche Infrastruktur, Logistik und gut trainierte Experten hat (siehe „Vier ETA-Mitglieder in Frankreich festgenommen“). Aber ich denke nicht, dass das das Ziel war, das die ETA mit der Waffenruhe erreichen wollte.

derStandard.at: Woran sind die Bemühungen um einen Friedensprozess dann gescheitert?

Gutierrez: Meines Erachtens wurde Premier Zapatero sehr schlecht beraten. Ja, seine Berater waren nicht nur mittelmäßig, sondern furchtbar schlecht. Man kann keinen Verhandlungsprozess einleiten, wo die eine Seite den Prozess derart anders versteht als die andere Seite, so dass sie von vornherein aneinander vorbei reden.

derStandard.at:
Worin lag das Missverständnis?

Gutierrez: Die ETA war davon überzeugt, dass sie die Waffen abgeben und dafür grünes Licht für die Unabhängigkeit bekommen würde. Die Sozialistische Partei wiederum hat gesagt: Mit diesen Verhandlungen ist gesichert, dass das Baskenland Teil Spaniens bleibt, daran wird nicht gerührt.

derStandard.at: Wie hätte sich dieses Missverständnis vermeiden lassen?

Gutierrez: Bevor man sich an einen Tisch setzt, müssen die Umrisse einer möglichen Lösung vertraulich abgeklärt werden, also im vorliegenden Fall: An Unabhängigkeit ist gar nicht zu denken. Wenn man sich darüber nicht einig ist, setzt man sich nicht an einen Tisch, denn das wird zum Schlachtfeld.

derStandard.at:
Hätte der ETA nicht klar sein müssen, dass die Unabhängigkeit alles andere als realistisch ist? Vielleicht ist es auch eine blöde Frage von einer Terrororganisation Realismus einzufordern…

Gutierrez: Die Frage ist nicht blöd, blöd waren die von der ETA oder sagen wir es etwas eleganter: Sie hatten falsche Erwartungen. Im Grunde haben aber auch die Sozialisten die falsche Vorstellung gehabt, dass sie auf Zeit setzen können nach dem Motto: „Jeder Tag ohne Waffengebrauch wird von der baskischen Gesellschaft als erleichternd erfahren, so dass es irgendwann einmal unmöglich sein wird, wieder zu den Waffen zu greifen.“

Spätestens ab dem Zeitpunkt, als die ETA wiederholt Erklärungen abgegeben hat, dass in den Verhandlungen nichts weiter geht, hätten die Experten sagen müssen, dass es ein Problem gibt. Aber sie haben gesagt: „Alles in Ordnung, wir müssen den Druck aufrecht erhalten.“ Noch am Tag vor dem Anschlag auf den Madrider Flughafen hat Zapatero erklärt, die Lage sei besser „als vor einem Jahr“. Dann ist er auf Urlaub gefahren – und die Bomben sind explodiert.

derStandard.at:
Sie meinen also, es wäre durchaus absehbar gewesen, dass etwas passiert?

Gutierrez: Ja, auf jeden Fall. Das war wie ein Rohr, das verstopft ist. Die ETA wollte Druck machen und das Rohr freilegen. Doch das Rohr ist geplatzt, und das hatte die ETA nicht einkalkuliert.

derStandard.at: Eine andere Erklärung, die für den Bruch der Waffenruhe gegeben wurde, waren interne Streitereien in der ETA. Wie sehen Sie das?

Gutierrez: Das ist eine zusätzliche Erklärung, die beiden widersprechen sich aber nicht. Es heißt, dass die Hand, die die Erklärung des Waffenstillstands geschrieben hat ist eine andere als jene, die den Bekennerbrief geschrieben hat. Das scheint mir durchaus möglich.

derStandard.at: Wie kommt es, dass sich die ETA trotzdem weiterhin hält?

Gutierrez: Was die ETA am Leben hält, ist die enorme Wirkung, die ihre Taten verursachen. Sie sind „Weltmeister“ in der Disziplin „Maximale Wirkung, minimales Blutvergießen“: In den vergangenen fünf Jahren haben fielen ihren Anschlägen zwei Menschen zum Opfer, und das war eigentlich nicht beabsichtigt. Dadurch erreichen sie, dass jeder „Triumph“ von ETA in allen Zeitungen auf der ersten Seite und in allen Debatten in Fernsehen oder Radio das Top-Thema ist.

derStandard.at:
Hätte Zapatero nicht darauf beharren müssen, dass sich auch die Batasuna von der ETA distanziert bzw. von der Gewalt? Kann man so Verhandlungen führen?

Gutierrez: Ja, das ist richtig und es ist eine permanente Enttäuschung.

derStandard.at:
Welche Rolle spielte die PP?

Gutierrez: Immer wieder erklärte die PP, die Sozialistische Partei führe bereits Geheimverhandlungen mit der ETA und sei bereit nachzugeben und auf die Einheit Spaniens zu verzichten. Die PSOE reagierte darauf zunehmend defensiv, weil dies ziemlich viel Echo in der spanischen Gesellschaft fand. Dadurch wurde zugleich der Verhandlungsspielraum immer kleiner.

derStandard.at:
Wie erklärt sich diese harte Linie?

Gutierrez: Die Partido Popular hat immer gesagt: „Wir verhandeln nicht, wir reden mit der ETA nur vor Gericht. Hier geht es nur um Kampf, Niederlage, Strafe.“ Diese Linie hat sich durchgesetzt und ist zum Konsens in Spanien, aber auch im Baskenland geworden.

derStandard.at:
Wie kommt es, dass die PP davon nicht stärker davon profitiert?

Gutierrez: Viele Leute merken, dass die PP nicht so sehr an der Vernichtung der ETA interessiert ist, sondern an der Niederlage von PSOE. Außerdem finden die meisten, dass man es versuchen musste, auch wenn es gescheitert ist.

derStandard.at: Der baskische Regierungschef Juan Jose Ibarretxe hat angekündigt, im Herbst 2008 ein Referendum „über die Zukunft des Baskenlandes“ abzuhalten. Was ist davon zu halten?

Gutierrez: Im Grunde ist das vor allem für die Partido Popular sehr gut, denn sie kann nun mit Recht sagen: Die Basken sind Separatisten und sie konnten diesen Vorschlag nur machen, weil Zapatero ihnen keine Grenzen gesetzt hat.

Zapatero hat meines Erachtens sehr gut reagiert, indem er sagte: „Ibarretxes Vorschlag ist schlichtweg illegal. Daher wird dies auf dem Wege der Justiz verhindert, und mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“

derStandard.at:
Ist es denn realistisch, dass es tatsächlich verhindert wird?

Gutierrez: Ich denke, dass das am Ende passieren wird, dass dies aber durchaus im Interesse von Ibarretxe ist, denn er will bei den Wahlen Stimmen dazu gewinnen. Sollte das Referendum tatsächlich verhindert werden, kann er sagen: „Das beweist, dass Spanien eine Besatzungsmacht ist.“

Möglicherweise gibt er aber auch nach, bevor es zu einem Verbot kommt. In jedem Fall aber scheint er damit zu kalkulieren, dass seine Partei (die „Partdio Nactionalista Vasco“, „Baskisch-Nationalistische Partei“, Anm.), die seit Jahren bei den Wahlen Verluste erleidet, mit diesem Vorstoß die Kurve kratzen könnte.

Zur Person:

Juan Gutierrez ist Mediator und Gründer des Friedenszentrums Gernika Gogoratuz. Als die Regierung des konservativen Premiers José Maria Aznar im Jahr 1998 einen Friedensprozess mit der ETA einzuleiten begann, war Gutierrez in die Vermittlungsbemühungen einbezogen. Außerdem gehört er dem Transcend-Netzwerk des Konfliktforschers Johan Galtung an.