Aber nicht nur das Fernsehen, auch das Lesen kam nicht zu kurz während meiner Rumliegerei: Ich habe endlich mit „Beim Häuten der Zwiebel“ begonnen. Spät, aber doch, wie es so schön heißt. Denn die ganze Aufregung darum, dass Grass Mitglied der Waffen-SS war, habe ich aufmerksam und mit Staunen mitverfolgt. All diese Vorwürfe: Warum erst jetzt? Ein Werbecoup? Hat seine Zuschreibung als „Gewissen der Nation“ Schaden genommen? Usw. usf.
Es war schon erstaunlich, denn am meisten schien an seinem Geständnis zu gefallen, dass „auch er“ dabei war. Dass „auch er“ nicht unschuldig war. Dass „auch er“ nicht so große Töne spucken soll und nicht so moralisch auftreten soll, immerhin war „auch er“. Ich fand das alles ziemlich befremdlich, denn warum sollte alles, was er gesagt hat, dadurch entkräftet werden, weil „auch er“ dabei war?
Ich hielt mich lieber an das, was er geschrieben hat, den „inkriminierten“ Teil des Buches damals im Vorabdruck gelesen und fand es beachtlich, mit welcher Strenge sich selbst gegenüber und mit welcher Wortgewalt dieser Mann sein Geständnis abgegeben hat:
„Zwar war während der Ausbildung zum Panzerschützen, die mich den Herbst und Winter lang abstumpfte, nichts von jenen Kriegsverbrechen zu hören, die später ans Licht kamen, aber behauptete Unwissenheit konnte meine Einsicht, einem System eingefügt gewesen zu sein, das die Vernichtung von Millionen Menschen geplant, organisiert und vollzogen hatte, nicht verschleiern. Selbst wenn mir tätige Mitschuld auszureden war, blieb ein bis heute nicht abgetragener Rest, der allzu geläufig Mitverantwortung genannt wird. Damit zu leben ist für die restlichen Jahre gewiß.“
Wenn ich mir vor Augen halte, mit welchen Ausflüchten so manch anderer, der auch in dieses System „eingefügt“ gewesen ist, sich aus dieser Mitverantwortung zu stehlen versucht, so bleibt mir nur zu sagen: Hut ab, Herr Grass!
Wie es der Zufall so will, stolperte ich gestern noch in eine großartige Dokumentation zu seinem 80er, den er morgen feiert. Alles Gute auch dazu!
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