Je besser sie ausgebildet sind, desto eher arbeiten MigrantInnen in einem Beruf, für den sie überqualifiziert sind.
Text: Sonja Fercher | Fotos: Michael Mazohl

Arbeit&Wirtschaft 7/2016

bildschirmfoto-2016-10-09-um-15-13-37Ich putze auch. Ich schaue nicht drauf, was mir da oder dort nicht passt. Mir ist egal, welche Arbeit. Hauptsache Arbeit.“ Was diese Gastarbeiterin schildert, ist wohl eine der einfachsten Erklärungen für das, was in der Fachsprache „Dequalifizierung“ genannt wird. Damit gemeint ist, dass Menschen einen Arbeitsplatz annehmen, für den sie eigentlich überqualifiziert sind. Das Zitat stammt von einer jener Gastarbeiterinnen, die seit den 1970er-Jahren nach Kärnten gekommen sind und die von der Kärntner Wissenschafterin Viktorija Ratkovic für ein Forschungsprojekt befragt wurden. Alle hatten in ihrem Heimatland eine Ausbildung als Buchhalterin, Bürokauffrau oder Handelskauffrau absolviert – und alle waren in unqualifizierten Tätigkeiten beschäftigt, ob im Tourismus oder in der Fabrik am Fließband.

Zweifellos gibt es viele Gründe, warum MigrantInnen stärker von Dequalifizierung betroffen sind als ÖsterreicherInnen. Doch es lässt sich nur zum Teil durch individuelle Faktoren wie sprachliche Hürden oder die schwierige Anerkennung ausländischer Abschlüsse erklären. Gernot Mitter, Arbeitsmarktexperte der AK, benennt eine weitere wichtige Ursache: „Wir haben eine ethnische Diskriminierung von Personen mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt. Eine Ausprägung davon ist, dass sie eher unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt werden.“

Je besser ausgebildet, desto schlechtere Chancen: So lautet der frustrierende Befund aus verschiedenen Untersuchungen. Der Soziologe August Gächter hat die „Integrationsleistung des Arbeitsmarkts“ untersucht, nicht berücksichtigt in dieser Analyse sind die zuletzt dazugekommenen Flüchtlinge. Ein wesentlicher Befund betrifft alle ArbeitnehmerInnen unabhängig von ihrer Herkunft: Auf dem österreichischen Arbeitsmarkt ist Dequalifizierung ein verbreitetes Phänomen. Schon unter ÖsterreicherInnen gibt es Unterschiede, denn Frauen sind davon stärker betroffen als Männer. Noch stärker betroffen sind jedoch MigrantInnen.

cover1Dazu ein paar Zahlen: Nur neun Prozent der MigrantInnen mit mittlerer Ausbildung üben auch einen Beruf aus, der dieser Qualifikation entspricht. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung trifft dies auf 27 Prozent der ArbeitnehmerInnen zu. In der kleinen Gruppe von Personen, die mit h.herer Qualifikation in Hilfs- und Anlernt.tigkeiten besch.ftigt sind, liegt der MigrantInnenanteil bei 50 Prozent. In welcher Gruppe auch immer EinwanderInnen am Arbeitsmarkt überdurchschnittlich vertreten sind: „Es ist keine einzige vorteilhafte Arbeitsmarktposition enthalten“, resümiert G.chter. Besonders trifft dieser Befund auf MigrantInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei zu, aber auch auf afrikanische Zuwanderer und Zuwanderinnen. Die Zahlen stammen zwar aus dem Jahr 2008, doch eine Studie aus dem Jahr 2015 zeichnet für den Wiener Arbeitsmarkt ein ähnliches Bild.

Spirale nach unten

Erneut haben Frauen schlechtere Karten. Bei ihnen spielt die Herausforderung eine gro.e Rolle, die Kinderbetreuung zu organisieren, berichtet die Kärntner Forscherin Ratkovic. Auch alle von ihr befragten Frauen haben unqualifizierte Tätigkeiten ausgeübt, obwohl einige von ihnen in ihrem Heimatland eine Ausbildung absolviert haben. Sie ergänzt: „Wenn sie Kinder bekommen oder ihre Kinder nachholen, erleben sie einen noch weiteren Abstieg.“

Und die zweite Generation? Sie haben es schon leichter als ihre Eltern. Wenn sie eine mittlere Ausbildung absolviert haben, haben sie ähnlich gute Chancen wie „Einheimische“, einen Job zu finden, der ihrer Ausbildung entspricht. Und doch haben auch sie es auf allen Bildungsstufen schwerer als die „österreichischen“ KollegInnen. Bedenklich stimmt etwa, dass die Arbeitslosen die einzige Kategorie am Arbeitsmarkt sind, in der die zweite Generation überrepräsentiert ist.

Es mag geradezu fahrlässig erscheinen, dass Unternehmen bestimmte Arbeitskräfte entweder gar nicht als potenzielle Arbeitskräfte in Betracht ziehen oder aber ihre Potenziale nicht ausschöpfen – und zwar einzig aufgrund von Vorurteilen. Dies ist nicht nur aus unternehmerischer Perspektive problematisch. Gächter hat ausgerechnet, dass den Kommunen ganze 1,3 Milliarden Euro pro Jahr an Steuermitteln entgehen, weil MigrantInnen nicht entsprechend ihren Qualifikationen, sondern in Hilfstätigkeiten beschäftigt sind. Die MigrantInnen selbst könnten eine Milliarde Euro mehr verdienen – und würden nebenbei bemerkt auch mehr Steuern und Abgaben zum Budget beitragen.

Bewusstseinsarbeit nötig

Was ließe sich also tun, damit MigrantInnen, ob erster oder zweiter Generation, bessere Chancen am Arbeitsmarkt haben? In Österreich müsse man sich viel intensiver mit Diskriminierungen auseinandersetzen, so Gächter. Es gebe einfach zu wenig Bewusstsein dafür, auch bei Arbeitgebern. Diskriminierung sei hierzulande geradezu ein Reizwort. Zwar sei die Rechtslage recht gut, was die nachträgliche Sanktionierung von Diskriminierungen betrifft. Aber „diese reagiert auf einen Unfall, nachdem er geschehen ist“, kritisiert der Soziologe. „Zur Vorbeugung haben wir nichts Kontinuierliches.“ Am effektivsten wären deutlich höhere Strafen im Falle von Diskriminierungen. Diese aber hält Gächter für noch schwerer durchsetzbar als Maßnahmen, die zu einem besseren Bewusstsein dafür beitragen, was Gleichbehandlung der ArbeitnehmerInnen bedeutet.

AK-Experte Gernot Mitter spricht ein weiteres Problem an: „Durch die Höhe und Dauer des Arbeitslosengeldes stehen Arbeitssuchende unter hohem Druck, möglichst schnell wieder eine Arbeit anzunehmen“ – auch um den Preis einer Dequalifizierung. Entspannung ist nicht in Sicht, die aktuelle Diskussion zielt sogar auf weitere Verschärfungen ab. Schlechte Vorzeichen also für eine bessere Integration von MigrantInnen am Arbeitsmarkt.


 

Integration – Ein Begriff mit großer Projektionsfläche.

Er ist wohl einer der Begriffe, die in der innenpolitischen Debatte mit Worten wie Notstand oder Briefwahl um den ersten Platz rittern: Integration. Doch so oft er auch verwendet wird, so unklar bleibt meistens, was denn die jeweilige Person, die das Wort in den Mund nimmt, nun eigentlich genau darunter versteht. Der deutsche Wissenschafter Mark Terkessidis hält fest, dass natürlich bestimmte Vorstellungen damit transportiert werden: „Tatsächlich trägt der Begriff immer noch schwer am Erbe des Provisoriums. Denn noch heute werden die Personen mit Migrationshintergrund als eine Sondergruppe der Gesellschaft betrachtet, die an die herrschenden Standards herangeführt werden muss.“

Welche Standards da denn nun dazugehören, wird von den verschiedenen innenpolitischen AkteurInnen denn auch unterschiedlich interpretiert. Die einen meinen, dass es reichen muss, wenn MigrantInnen sich im öffentlichen Raum inklusive Arbeitsplatz an die allgemeinen Regeln halten, während das, was innerhalb ihrer vier Wände passiert, die Allgemeinheit nur dann etwas angeht, wenn etwas strafrechtlich Relevantes geschieht. Andere wiederum haben ganze Kataloge an Werten und Prinzipien, Gleichbehandlung der Frauen rangiert hier meist an vorderster Stelle, gefolgt von Menschenrechten, Rechtsstaat, Trennung von Kirche und Staat oder gar völliger Säkularisierung. Soweit zwei Pole in der Debatte.

Was in diesen Haltungen enthalten ist, ist eine Zweiteilung der Gesellschaft, wie sie von vielen ExpertInnen kritisiert wird: Es wird ein homogenes „Wir“ der Aufnahmegesellschaft konstruiert, dem eine ebenso konstruierte homogene Gruppe der „anderen“ gegenübersteht. Die „anderen“ seien in dieser Logik dazu aufgerufen, sich dem „Wir“ anzupassen. Abgesehen davon, dass beide Gruppen bei Weitem nicht so homogen sind, wie diese Vorstellungen suggerieren: In dieser Zweiteilung ist eine Hierarchie enthalten, Konflikte sind vorprogrammiert, wenn die „anderen“ sich dem „Wir“ dann doch nicht beugen wollen.

Eine alternative Sichtweise lautet, dass Integration ein vielfältiger Prozess ist, den sehr unterschiedliche AkteurInnen auf Augenhöhe miteinander ausverhandeln. Die Literatur zum Thema ist inzwischen geradezu unübersichtlich. Spannende Einblicke gewähren diese Werke:
Andreas Weigl „Migration und Integration“
Mark Terkessidis „Interkultur“
Hilal Sezgin (Hg.) „Manifest der Vielen“.