Der ArbeitnehmerInnenschutz braucht eigene Maßnahmen für Frauen. Erschienen in: Arbeit&Wirtschaft 02/13

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Herzkrankheiten sind nicht mehr vor allem Männerkrankheiten. Sie machen sogar 49 Prozent der Todesursachen bei Frauen aus. Frauen haben höheren Blutdruck, verstärkt Herzerkrankungen, weniger typische („männliche“) Symptome bei Herzerkrankungen, sie werden seltener und weniger ausführlich diagnostiziert und therapiert als Männer mit gleicher Verdachtsdiagnose. Und sie sterben häufiger an plötzlichem Herztod, wie Jasminka Godnic-Cvar erzählt. Die Medizinerin leitet das Institut für Arbeitsmedizin der Medizinischen Universität Wien und erklärt die Ursachen: Die Mehrfachbelastung der meisten berufstätigen Frauen hat negative Folgen für ihre Gesundheit. „Es ist bewiesen, dass Frauen stärker unter Stress und mehrfacher Arbeitsbelastung stehen“, so Godnic-Cvar: „Eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieser Krankheiten spielen vegetative Belastungen, auf die keine Entspannung folgt.“

Hintergründe dafür: „Frauen haben traditionell andere Aufgaben, die zu Mehrfachbelastungen führen: Familie, Beruf, Pflege der erkrankten Eltern und mehr. Außerdem sind sie schlechter bezahlt und arbeiten unter schlechteren Bedingungen. Und die zeitliche Einteilung kann sich besonders belastend auswirken: Sie arbeiten zwei oder drei Mal am Tag in zeitlich getrennten Schichten. Das betrifft zum Beispiel Leiharbeiterinnen oder Putzfrauen.“ Phasen der Entspannung geraten damit zu kurz, die Auswirkung sind stress- und erschöpfungsassoziierte Erkrankungen.

In den Betrieben selbst wird noch zu wenig darauf geachtet, unter welchen belastenden Umständen Frauen arbeiten. Dabei sind ArbeitgeberInnen verpflichtet, eine „Gefahrenevaluierung“ am Arbeitsplatz durchzuführen, um übermäßige Beanspruchung und Risiken erkennen und sich Maßnahmen zur Vermeidung derselben überlegen zu können.

Der gesetzliche Rahmen dafür ist das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, in dem die Arbeitsplatzprävention, Vorbeugung von Krankheiten und Gesundheitsförderung eine wichtige Rolle spielen. Dem ArbeitnehmerInnenschutz, wie er sich in den letzten 150 Jahren in Österreich entwickelt hat, liegen in erster Linie die Arbeitsbedingungen männerdominierter Branchen, v. a. im Produktionssektor, zugrunde. In ihrer vom ÖGB geförderten Masterarbeit ist Antonia Wenzl deshalb der Frage nachgegangen, inwieweit die Gefahrenevaluierung durch Geschlechterstereotype geprägt ist. Außerdem wollte sie herauszufinden, welche Aspekte berücksichtigt werden müssen, um die körperlichen und psychischen Belastungen am Arbeitsplatz von Männern und Frauen gleichermaßen berücksichtigen zu können.

Arbeitsbedingungen im Wandel

Historisch betrachtet ging es im ArbeitnehmerInnenschutz lange Zeit in erster Linie um Verhütung von „klassischen“ Arbeitsunfällen und Verringerung von Gesundheitsgefahren wie Quarz- und Asbeststaub, Lärm, Vergiftungen, körperliche Schwerarbeit, Hitze- und Kälteeinwirkungen. Die Arbeitsumgebung und die Arbeitsbedingungen, wie auch die damit verbundenen Belastungen und Gefahren, haben sich jedoch vielfältig verändert. Immer mehr Menschen sind im Dienstleistungssektor beschäftigt. Die Arbeitsfelder in Bereichen, in denen viele Frauen tätig waren und sind, galten und gelten als körperlich wenig anstrengend, sauber und nicht gesundheitsschädigend. „So werden zum Beispiel die Belastungen des Hebens und Tragens der zumeist weiblichen Supermarktkassiererin kaum gesehen, während das Heben und Tragen von Bauarbeitern als körperlich sehr belastend und gefährdend anerkannt ist“, stellt Wenzl fest.

Vorurteilsbasierter Blick

Dieser vorurteilsbasierte Blick hatte zur Folge, dass etwa bei Reinigungskräften oder den meist weiblichen SekretärInnen die Gefahrenevaluierung vernachlässigt wurde. Außerdem sind Frauen als AkteurInnen des ArbeitnehmerInnenschutzes unterrepräsentiert, etwa als Sicherheitsvertrauenspersonen oder technische Sicherheitsfachkräfte. Das bedeutet, dass sie nicht ausreichend mitbestimmen. Für eine qualitative Gefahrenevaluierung sei es erforderlich, alle MitarbeiterInnen einzubeziehen und das Wissen der Beschäftigten mit dem Wissen der Expertinnen und Experten zusammenzuführen, so Wenzl: „Sicherheits- und Gesundheitsanliegen von Frauen sollten verstärkt berücksichtigt werden. Die Beteiligung von Frauen im ArbeitnehmerInnenschutz ist deshalb wichtig.

Damit das möglich wird, muss bei der Planung von Arbeitsschutzmaßnahmen auf die zeitlichen Rahmenbedingungen aller MitarbeiterInnen Rücksicht genommen werden, also auch von Teilzeitbeschäftigten.“ Doch nicht nur bei physischen Belastungen stieß Wenzl im Zuge ihrer Recherchen auf Geschlechterstereotype. Psychische Belastungen werden eher Frauen und frauendominierten Berufen wie der Pflege zugeschrieben, physische Belastungen eher Männern und männerdominierten Branchen.

Segregation des Arbeitsmarkts

Nach wie vor ist der österreichische Arbeitsmarkt sehr stark nach Geschlechtern segregiert. Frauen und Männer sind in unterschiedlichen Branchen tätig. Dazu kommt eine Trennung nach Hierarchiestufen und Arbeitszeiten: „Frauen arbeiten deutlich häufiger Teilzeit. Männer wiederum sind viel häufiger in Führungspositionen tätig als Frauen.“ Deshalb seien Frauen und Männer unterschiedlichen Arbeitsumgebungen und Anforderungen ausgesetzt – und hätten unterschiedliche Bedürfnisse, die berücksichtigt werden sollten, so Wenzl.

Arbeitsmedizinerin Godnic-Cvar stimmt zu und erweitert Wenzels Feststellung um die Forderung nach einer Quote für Führungspositionen. Es habe Folgen, wenn Frauen nicht ausreichend in den Entscheidungsebenen vertreten sind, so die Medizinerin: „Sie sind fremdgesteuert, können nicht über das eigene Vorankommen, ihre eigene Ziele und Perspektiven entscheiden, aber auch über Pausen, Schutzmaßnahmen und Arbeitsprozesse. Und Frauen können nicht, da nicht ausreichend repräsentiert, für sich und andere Frauen für adäquatere Konditionen kämpfen.“ Es gebe genug qualifizierte Frauen, die diese Funktionen bekleiden könnten, Macht sollte gendergerecht aufgeteilt werden, fordert Godnic-Cvar: „Es ist wichtig, dass Frauen ihr Wissen, ihre Meinungen, Erfahrungen und Kenntnisse, die sie im Leben erworben haben, einbringen können.“

Frauen sollten in den Unternehmen überall vertreten sein: „In den Führungsstrukturen, unter den Sicherheitsvertrauensleuten und Personalvertretern. Frauen sollten sich selbst vertreten. Je mehr Frauen in der Unternehmensführung, desto besser schneiden sie ab. Insofern ist die Forderung nach einer 40-Prozent-Quote sehr zu begrüßen.“
Mehr Frauen in der Führungsebene, mehr Informationen über die gesundheitsschädigende Wirkung von Fehlbelastungen am Arbeitsplatz, bessere Arbeitsbedingungen: Das sind die wesentlichen Verbesserungen, die sich Godnic-Cvar wünscht.

Noch sind Frauen erst in wenige Führungspositionen vorgedrungen. Viele leben in Armut oder an der Armutsgrenze. Auch das hat Auswirkungen auf ihre Gesundheit: Sie können sich körperliche Ausgleichsbetätigungen (z. B. Heilgymnastik, Fitness etc.) oder andere Formen der Entspannung und des Ausgleichs nicht leisten, so Godnic-Cvar. Berufstätige Frauen kommen zudem nicht nur an ihrem Arbeitsplatz zum Einsatz, sondern leisten auch nach wie vor den Großteil der Hausarbeit. „Es gibt eine deutsche Studie, wonach drei von vier Müttern berufstätig sind. Durch die Mehrfachbelastungen können sie sich in der Regel also nicht ausreichend entspannen und ausruhen“, berichtet Godnic-Cvar. Hinter der psychischen Überforderung rangieren Muskel- und Skelettalerkrankungen als häufigste berufsassoziierte Erkrankungen bei Frauen.

Viele Möglichkeiten

Deshalb fordert Godnic-Cvar ein ausreichendes Angebot an Kinderbetreuungs- und Pflegeeinrichtungen. Es bestünden viele Möglichkeiten, damit Frauen im Beruf erfolgreicher sein können, finanziell besser dastehen bzw. nicht in Armut leben müssen – und dadurch auch gesünder sind und werden. Inzwischen gebe es bereits einige erfolgreich implementierte Maßnahmen, die den Frauen zugutekommen, vor allem im akademischen Bereich. Allein: Flächendeckend sind sie nicht. „Leider“, bedauert die Medizinerin.

Genderaspekte in der Gefahrenevaluierung: tinyurl.com/bq3hd8d