Henriette Riegler vom  Institut für Internationale Politik über mögliche Nach­folger des verstorbenen Präsidenten des Kosovo und die Rolle der Inter­nationalen Gemeinschaft. (Ein Interview für derStandard.at)

 

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derStandard.at: Der Tod Rugovas, so lautet die Einschätzung von Beobachtern, hinterlässt ein politisches Vakuum im Kosovo. Wer könnte aus Ihrer Sicht dieses Vakuum füllen?

Riegler: Einerseits stimmt diese Einschätzung, denn Rugova ist über die Jahre hinweg zu einer mythischen Figur geworden. Eigentlich aber hat in erster Linie die LDK (Demokratische Liga des Kosovo, Anm.) dieses Problem: Da werden jetzt die Diadochenkämpfe um die Parteiführung ausbrechen. Auf der anderen Seite gibt es durchaus einen politischen Pluralismus im Kosovo, also trifft diese Einschätzung wiederum nicht zu.

derStandard.at: Wer könnte Rugova nachfolgen?

Riegler: Ich könnte mir Adem Demaci vorstellen, der oft als „Mandela“ bezeichnet wird – im Gegensatz zu Rugova, den man als „Gandhi“ apostrophierte. Dann gibt es (Ex-Premier, Anm.) Ramush Haradinaj oder (Ex-Premier, Anm.) Bajram Rexhepi. Auch Veton Suroi (Parteichef der westlich orientierten Ora, Anm.) wurde mehrmals genannt.

Man muss bei dieser Frage aber zwei Ebenen berücksichtigen: Auf der einen Seite wird der Präsident vom Parlament gewählt, das ist die lokale Entscheidung. Auf der anderen Seite ist der Kosovo ein Protektorat und die internationale Gemeinschaft wird ein gewichtiges Wort mitreden. Rugova war für die internationale Gemeinschaft sehr angenehm und sie hat nun ein Problem.

derStandard.at: Eine weitere Person, die international sehr bekannt ist, ist Hashim Thaci von der Demokratischen Partei des Kosovo. Ihm wird allerdings immer wieder vorgeworfen, dass er der UCK („Befreiungsarmee des Kosovo“, Anm.) zu nahe steht. Welche Rolle spielt eigentlich die UCK heute noch und welche Chancen hat Thaci?

Riegler: Es ist sicherlich so, dass viele Politiker, die jetzt aktiv sind, aus der UCK hervor gegangen sind, einer davon ist Thaci. Interessant ist Folgendes: Man hat geglaubt, nach dem Krieg würden Rugova und die LDK abdanken und von neuen Kräften abgelöst werden. Man konnte über die Jahrzehnte allerdings gut verfolgen, dass die Bevölkerung des Kosovo nicht radikalisiert ist, denn sonst hätten sie einen Führer wie den Rugova nicht gewählt. Entgegen aller Voraussagen habeb sie den UCK-Kräften nicht zum politischen Durchbruch verholfen. Würde der Präsident direkt gewählt, würde ich meinen, dass Hakim Thaci nicht gewählt würde.

derStandard.at: Was halten Sie für die wahrscheinlichste Szenario?

Riegler: Es spricht vieles dafür, dass man sich im Parlament am Schluss auf einen Kandidaten einigen wird, für den es parteiübergreifend Zustimmung gibt. Allerdings vermute ich, dass die internationale Gemeinschaft jemanden anderen vorschlagen wird. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass einige mit Veton Suroi durchaus ihre Freude hätten.

Das ist das Spannungsverhältnis, dass es im Kosovo zwischen den lokalen politischen Kräften und der internationalen Gemeinschaft gibt.

derStandard.at: Die internationale Gemeinschaft steht nicht auf Seiten der Kosovaren, wenn es um deren wichtigste Forderung nach Unabhängigkeit geht. Wäre es nicht auch denkbar, dass die internationale Gemeinschaft die Schwäche der Kosovaren nun ausnutzt und die Statusverhandlungen schnell wieder weiterführt, um eine Einigung nach ihren Vorstellungen zu erzielen?

Riegler: Was ich bisher gehört habe von Seiten der Vertreter der internationalen Gemeinschaft ist, sehr schnell die Statusverhandlungen aufzunehmen und ich glaube genau aus dem Grund, den Sie genannt haben. Ich glaube, man möchte kein zu starkes kosovarisches Verhandlungsteam haben, denn die Kosovaren sagen ja unisono „Wir wollen die Unabhängigkeit und unter der machen wirs nicht.“

Auf der anderen Seite – und ich denke, das ist die Ambivalenz bei den Verhandlungen – kann das auch nach Hinten losgehen, wenn man überhaupt niemanden hat, der als Verhandlungsführer der Kosovaren auftritt. Die internationale Gemeinschaft hat also sehr wohl ein Interesse daran, sozusagen eine mittelstarke Figur zu haben – aber nicht zu stark.

derStandard.at: Was will Belgrad?

Riegler: Ich glaub, auch die haben ein Problem, denn sie waren mit dem Rugova ganz zufrieden. Allerdings denke ich mir auch, dass das etwas über den Konflikt aussagt, dass so eine Figur wie Rugova zugelassen wurde: Dass er während Milosevic als politische Figur übrig geblieben ist, hat auch damit zu tun, dass dies auch im Sinne von Belgrad war. So konnte Belgrad eine Kontrolle über den Kosovo ausüben und eine schwache politische Führung im Kosovo ist für Belgrad immer sehr praktisch gewesen.

Sein Tod ist sozusagen – abgesehen vom Vakuum, das er hinterlässt – gewissermaßen ein Abschluss einer Geschichte und der Beginn einer neue Phase der kosovarischen politischen Geschichte. Ich glaube, dass der nächste Präsident auf alle Fälle stärker sein wird, was die politische Agenda betrifft. Er wird vielleicht schwächer sein in dem Sinn, dass er nicht mehr so etwas Überirdisches haben wird, wie dies Rugova ausgestrahlt hat.