US-Wissenschafter Weinstein bezweifelt, dass die somalische Übergangsregierung Frieden schaffen kann. (Ein Interview für derStandard.at)


Im vergangenen Jahr gelang es den Islamisten der „Islamischen Gerichte“ sukzessive, die Macht in Somalia zu ergreifen. Vor Weihnachten dann kam die Wende: Mit Unterstützung von Äthiopien gelang es der Übergangsregierung, die bis dahin in Baidoa ihren Sitz hatte, die Islamisten zu vertreiben. Dennoch glaubt Michael A. Weinstein nicht daran, dass die somalische Regierung das Vakuum füllen kann, das durch die Vertreibung der islamischen Gerichte entstanden ist. Im Email- Interview mit derStandard.at erklärt der Chefanalytiker vom US-Amerikanischen „Power and Interest News Report“ (PINR) Hintergründe des Konflikts, die Rolle der Islamisten und deren Drohung mit einem Guerillakrieg. Die Fragen stellte Sonja Fercher.

derStandard.at: Bis vor wenigen Monaten war bei Somalia noch von drei Konfliktparteien die Rede: Von der Übergangsregierung, den Islamischen Gerichtshöfen und den Warlords. Als die Kämpfe ausbrachen, waren die Warlords auf einmal verschwunden, haben sie sich der Regierung angeschlossen oder welche Rolle spielen sie im aktuellen Konflikt?

Weinstein: Es gibt nach wie vor drei Konfliktparteien. Die Warlords erheben nun wieder Anspruch auf ihre früheren Einflusszonen, und auch wenn einige von ihnen in der Übergangsregierung vertreten sind, so ist doch keiner von ihnen dazu bereit, sich der Übergangsregierung wirklich zu unterwerfen.

In Somalia ist eine Rückkehr zu jenen Machtstrukturen zu beobachten, die vor der Machtergreifung der Gerichtshöfe geherrscht haben mit den Clan als Knotenpunkt sozialer Solidarität und den Warlords als Garanten der (relativen) Sicherheit der Clans.

Die Islamisten wiederum haben im Vergleich zu Warlords an Macht verloren, weil sie sich geteilt haben, und zwar in eine moderatere, aber machtlose Fraktion, und in eine Kerngruppe von Hardlinern, die versucht, einen Aufstand zu organisieren.

derStandard.at: Wie mächtig ist denn die Übergangsregierung überhaupt?

Weinstein: Derzeit ist sie – wie dies ihr Innenminister, Hussein Aidid, gesagt hat – eine „symbolische Regierung“, deren Überleben ganz wesentlich von den äthiopischen Truppen abhängt. Meiner Einschätzung nach haben im Moment die Warlords die Oberhand.

derStandard.at: Die Regierungstruppen sollen nur eine Stärke von 6.000 Soldaten gehabt haben, woher hatte die Regierung ihre Truppen, so dass sie auf einmal in der Lage war die Islamisten zu vertreiben: Nur aus Äthiopien oder haben sich auch Warlords der Regierung angeschlossen?

Weinstein:
Die Übergangsregierung hatte immer Truppen, die loyal zu jenen Warldords waren, die die Übergangsregierung kontrollieren. Auch andere Clan-Milizen haben sich mit ihnen verbündet. Und die Regierung hat eine Anzahl von eigenen Truppen, die von Äthiopien und Uganda trainiert wurde.

Nichts desto trotz hätten sich diese ohne äthiopische Flugzeuge, Panzer, Artillerie und Bodentruppen keinen Millimeter bewegen können. Aber auch die Warlords haben sich ihnen angeschlossen – und zwar jeder im Sinne seiner eigenen Ziele.

derStandard.at: Worauf gründet sich die Autorität der Übergangsregierung und wer finanziert sie?

Weinstein: Die meisten finanziellen Mittel kommen, so weit ich weiß, von der EU, aber diese Mittel waren immer schon inadäquat, damit die Regierung ihre Aufgaben auch wirklich erfüllen könnte.

Wie Aideed meinte: „Die Regierung hat keine Ministerien und keine Armee“. Die Übergangsregierung war und ist eine theoretische Regierung, keine funktionierende.

derStandard.at: Die Islamischen Gerichte haben mit einem Guerillakrieg gedroht. Droht Somalia zu einem zweiten Irak zu werden?

Weinstein: Dieses Risiko besteht tatsächlich. Allerdings muss man dabei bedenken, dass Somalia das einzige Land Afrikas ist, das eine ethnisch und religiös homogene Bevölkerung hat. Es gibt nicht jene Teilung in Sunnitisch- Schiitisch-Kurdisch, wie sie für den Irak charakteristisch ist. Allerdings sind Differenzen zwischen den Clans eine ständige Quelle für Konflikte.

In einer Clan-basierten Gesellschaft (Afghanistan ist ein anderes Beispiel dafür) schlagen sich lokale Führer sofort auf die Seite der Gewinner. Die meisten der somalischen Clans haben die Islamischen Gerichte fallen gelassen, um ihre Clans zu schützen und haben ehemalige Kämpfer der Islamisten mobilisiert, die zu ihren Clans zurückgekehrt sind.

All dies verringert die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Irak-Szenario auch in Somalia entwickeln könnte. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass sich ein für Afrika typischer Aufstand wie beispielsweise der ethnisch motivierte Aufstand der Somalis in der Region Ogaden entwickeln könnte.

derStandard.at: Beobachter haben die Unterstützung in der Bevölkerung für die Islamisten darauf zurück geführt, dass diese dem Chaos ein Ende bereiteten, das die Warlords hervorgerufen haben. Kann die Übergangsregierung Ihrer Ansicht nach das nun entstandene Vakuum füllen?

Weinstein: Im Moment sieht es nicht danach aus. Sie braucht finanzielle Mittel für soziale Dienste sowie für die Reparatur der Infrastruktur, und sie braucht einen Ersatz für die äthiopische Sicherheits-Unterstützung (z.B. einen afrikanischen peacekeeping-Einsatz), und sie muss ihre Hand an den großen Hawiya-Clan ausstrecken, der die Basis für die Islamischen Gerichte war und in der Übergangsregierung marginalisiert wurde.

Es ist aber unwahrscheinlich, dass die internationale Gemeinschaft die nötige finanzielle Unterstützung zur Verfügung stellen wird, die Friedensmission des ostafrikanischen Staatenbunds IGAD ist noch weit entfernt (Uganda etwa sagte, es sei bei der Entsendung der Truppen „nicht in Eile“ – und kein afrikanisches Land will Truppen entsenden, bevor nicht die Gefahr des Bürgerkriegs gebannt ist). Und die Übergangsregierung scheint nicht bereit zu sein, ihre Macht zu teilen (Beobachter stimmen darin überein, dass Premierminister Gedi am besten zurücktreten sollte, und genau das will er nicht tun).

Der Westen mag hoffen, dass die Übergangsregierung das Vakuum schließt, aber ich habe große Zweifel, dass sie dazu in der Lage ist – will heißen, der Westen ist ein Meister der großen Worte, dass er auch die nötigen Mittel zur Verfügung stellen wird.

derStandard.at: Wird die Übergangsregierung eigentlich von der Bevölkerung unterstützt, während ihr nur die Truppen fehlten?

Weinstein: Die Bevölkerung wird die Übergangsregierung akzeptieren, wenn sie die Sicherheit herstellen und ein Minimum an Sozialleistungen zur Verfügung stellen kann. Aber sie ist NICHT populär, zerrissen zwischen Warlords und korrupten Beamten.

Ihre Popularität ist dadurch noch weiter gesunken – so dies überhaupt noch möglich ist -, dass sie Äthiopien zu Hilfe gerufen haben.

derStandard.at: Die USA und Äthiopien werfen den islamischen Gerichten Verbindungen zur El Kaida vor. Ein berechtigter Vorwurf?

Weinstein: Innerhalb der Gerichte gibt es eine Minderheit, die der El Kaida postitiv gegenüber steht, die Mehrheit aber hat kein Naheverhältnis zur Terrororganisation. Die Mehrheitsfraktionen in der Bewegung waren ideologisch der Muslimbruderschaft und den Salafisten verbunden.

Ich halte den Vorwurf von Jendayi Frazer (Afrika-Beauftragte des US- Außenministerium, Anm.), dass die Führung der Gerichte Verbindungen zur El Kaida habe, für Propaganda.

derStandard.at: Sie haben in einem Interview gesagt, Washington habe Äthiopien zur Intervention in Somalia ermutigt. Welches Interesse verfolgen die USA und wie bewerten Sie die US-Politik in Somalia?

Weinstein: Washington hat diplomatische Rückendeckung gegeben, weil es verhindern will, dass in Afrika – oder irgendwo anders in der Welt – ein islamischer Staat ensteht.

Schließlich ist Somalia strategisch gelegen und es gibt noch kein „Modell“ eines islamischen Staates in Afrika, dem andere Länder nacheifern könnten. Da nun die Gefahr eines islamischen Staates gebannt ist, ist Washington bereit – so glaube ich – die Rückkehr zu den Bedingungen vor dem Aufstieg der islamischen Gerichte zu akzeptieren. Obwohl ich eine „Regierung der nationalen Einheit“ (das kennen wir schon aus dem Irak) innerhalb der grundsätzlich säkulär und Clan- basierten institutionellen Struktur der Übergangsregierung vorziehen würde.