Zwei Jahre nach dem Scheitern des Referendums über die Wiedervereinigung Zyperns hat sich nur wenig verändert: Während der Süden inzwischen Mitglied der EU ist, steht die international nur von Ankara anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“ nach wie vor außerhalb. Präsident Mehmet Ali Talat warnt im derStandard.at-Interview mit Sonja Fercher vor den Folgen, sollte keine Lösung für das Zypernproblem gefunden werden, und fordert das Ende der Isolation von Nordzypern.

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derStandard.at: Zypern scheint im Moment in einer Sackgasse angelangt zu sein, wie wollen Sie da wieder heraus kommen?

Talat: Es gibt keinen Stillstand, im Gegenteil, die Dinge entwickeln sich weiter. Allerdings macht mir die gegenwärtige Entwicklung große Sorgen, denn sie könnte zur endgültigen Teilung der Insel führen. Je länger die derzeitige Situation anhält, desto schwieriger wird es sein eine Lösung zu finden, am Ende könnte die Teilung gar unausweichlich sein.

derStandard.at: Zugleich werfen Ihnen die griechischen Zyprioten vor, eben diese Teilung anzustreben.

Talat: Das ist nicht richtig, ganz im Gegenteil. Ich habe mich immer für die Wiedervereinigung eingesetzt, und zwar nicht erst vor dem Referendum, sondern schon während meines ganzen Lebens. Wenn es jemanden gibt, der seine Bereitschaft für eine Lösung beweisen muss, dann sind es die politischen Führer der griechischen Zyprioten.

derStandard.at: Sie meinten, dass es keine Lösung geben wird, so lange die Gegner der Wiedervereinigung an der Macht sind, also Präsident Tassos Papadopoulos. Heißt das, Sie wollen warten, bis er eines Tages abgelöst wird?

Talat: Natürlich. Aber das liegt nicht in meiner Hand, das ist eine Angelegenheit der internationalen Gemeinschaft.

derStandard.at: Was sollte die internationale Gemeinschaft Ihrer Ansicht nach tun?

Talat: Sie muss die Isolation der türkischen Zyprioten beenden. Wir müssen Papadopoulos unter Druck setzen und die griechischen Zyprioten davon überzeugen, dass wir eine Lösung brauchen. Um dies zu erreichen ist das Ende der Isolation ein Muss.

Zugleich bin ich aber davon überzeugt, dass dies den Wunsch türkischen Zyprioten nach einer Lösung nicht in Frage stellen würde, denn nach wie vor sind die türkischen Zyprioten von der Mitbestimmung der Politik der Insel ausgeschlossen.

derStandard.at: Sie haben den Vorschlag abgelehnt, den Hafen von Famagusta unter der Ägide der EU zu stellen und im Gegenzug dafür die Geisterstadt Varosha an die griechischen Zyprioten zurück zu geben. Warum?

Talat: Dieser Vorschlag ist nur für die griechischen Zyprioten von Nutzen. Der Hafen ist ja nicht geschlossen, nur können wir unsere Waren nicht zu den Zolltarifen eines EU-Mitglieds exportieren. Der wirtschaftliche Nutzen daraus ist zu gering, um dafür Varosha und die Kontrolle über den Hafen von Famagusta aufzugeben.

derStandard.at: Wenn der Gewinn so gering ist, wozu dann überhaupt Ihre Forderung nach direktem Handel?

Talat: Weil ich das Ende der Isolierung erreichen möchte, denn ich halte die Diskriminierung der türkischen Zyprioten nicht für fair.

derStandard.at: Griechische Zyprioten verweisen darauf, dass die türkischen Zyprioten ihre Güter ja über die Häfen von Larnaca und Limassol verschiffen können.

Talat: Theoretisch ist das möglich, aber in der Praxis gibt es einige Hürden. Zum Beispiel können türkisch-zypriotische LKWs nicht in den Süden fahren, griechisch-zypriotische LKWs übernehmen deshalb die Waren an der Grenze.

Es geht hier aber um etwas Grundsätzliches: Türkische Zyprioten werden nicht akzeptieren, von den griechischen Zyprioten kontrolliert zu werden. Ebenso wenig können wir die griechisch-zypriotische Beteiligung bei der Entscheidungsfindung über Belange im Norden akzeptieren, sei es über die EU oder die UNO.

Wenn von Gegenseitigkeit die Rede ist: Die griechisch-zypriotische Seite würde eine Struktur wie für den Hafen von Famagusta nie für den Süden akzeptieren. Es wäre ok, wenn sie auch Larnaca unter EU-Aufsicht stellen, aber das ist nicht möglich. Nein, sie sind der Staat, während wir nur eine untergeordnete Autorität sind und unsere Kompetenzen an andere Organe übertragen müssen, um unsere Einrichtungen nutzen zu können. Das ist nicht akzeptabel.

derStandard.at: Es gibt einen türkisch-zypriotischen Vorschlag zur Demilitarisierung von Nikosia. Was halten Sie davon?

Talat: Das ist nur eine Ablenkung vom eigentlichen Problem und das ist sehr gefährlich. Ob es nun um Demilitarisierung oder die Öffnung von weiteren Grenzübergängen geht: All dies trägt dazu bei, dass der Status Quo immer akzeptabler und die Wiedervereinigung irgendwann nicht mehr nötig sein wird. Deshalb müssen wir hier sehr vorsichtig sein.

derStandard.at: Die türkisch-zypriotische Journalistin Sevgul Uludag wirft der türkisch-zypriotischen Führung in einem Artikel vor, eine „Geisel Ankaras“ zu sein. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Talat: Was bedeutet das, Geisel der Türkei? Etwa dass die Türkei Zypern benutzt? Welches Land benutzt denn Zypern nicht? Papadopoulos benutzt Zypern, Griechenland hat Zypern über viele Jahre hinweg benutzt.

Natürlich versucht die Türkei so viel Nutzen wie möglich für die Beitrittsverhandlungen mit der EU zu erzielen, das ist ganz normal. Ein weiser Zugang besteht darin, sich dessen bewusst zu sein und die Politik dementsprechend zu organisieren, so dass beide Interessen Hand in Hand gehen: Den größtmöglichen Nutzen für eine Lösung zu erzielen sowie die Türkei dabei zu unterstützen, eine bessere Position bei den Beitrittsverhandlungen zu erhalten.

Früher wäre der Vorwurf berechtigt gewesen, denn die Türkei hat den türkischen Zyprioten über viele Jahre hinweg ihre Politik aufgezwängt. Das ist aber jetzt nicht mehr so. Natürlich ist der Einfluss der Türkei größer als der von anderen Ländern, denn die Türkei ist das einzige Land, das der türkisch-zypriotischen Seite in jedem Fall hilft – und zwar manchmal selbst dann, wenn es den Interessen der Türkei widerspricht.

derStandard.at: Sie sehen also keinen Grund mehr für eine Emanzipierung von der Türkei?

Talat: Wenn wir unser System konsolidieren, wird der Einfluss der Türkei geringer werden. Wenn unsere Institutionen in der Lage sind die Probleme selbst zu lösen, wird dies auch die Gründe für eine Einflussnahme der Türkei verringern.

Es gibt allerdings Angelegenheiten, bei denen die Zusammenarbeit mit türkischen Behörden nötig ist. Ein Beispiel: Die internationale Frequenzbehörde erkennt uns als Regierung nicht an. Deshalb müssen wir uns an die türkischen Institutionen wenden, damit sie auch die Frequenzen für die türkischen Zyprioten beantragen. Hier müssen wir also mit den türkischen Behörden zusammenarbeiten, allerdings ist es damit aber auch unvermeidbar, dass sie an Einfluss auf die türkischen Zyprioten gewinnen. Wenn wir nicht diese Verpflichtung hätten immer Hand in Hand mit der Türkei zu gehen, wäre alles viel einfacher.

derStandard.at: Es gibt eine große Kontroverse über ein Treffen zwischen Ihnen und Präsident Papadopulos. Gibt es inzwischen schon einen Termin?

Talat: Nein, es gibt noch keinen Termin, aber die Möglichkeit für ein Treffen besteht. Ich habe Präsident Papadopoulos von Anfang an ein Treffen angeboten, aber er hat das bislang abgelehnt. (derStandard.at, 9. Juni 2006)