Die Menschen auf beiden Seiten sehnen sich nach dem Ende der Teilung, doch es gilt noch einige Hürden zu überwinden. (Eine Reportage für derStandard.at)


Nikosia – Bisher war der griechische Teil Zyperns verbotenes Gelände für ihn. Doch seit die Grenze zum Süden im April vergangenen Jahres geöffnet wurde, fährt Bariş Umut regelmäßig in die geteilte Hauptstadt und besichtigt das griechische Nikosia. Er ist türkischer Zypriote und arbeitet als Beamter in der Stadt Girne, die an der Nordküste der Insel liegt. „Mit dem Auto brauche ich nur eine Viertelstunde, um nach Nikosia zu fahren. Es ist einfach wundervoll, dass ich nun die ganze Insel kennen lernen kann“, schwärmt er.

Girne/Kerínia

Zypern hat etwa die Fläche von Kärnten, griechische und türkische Zyprioten lebten hier früher zusammen. Permanent stößt man auf Spuren dieser gemeinsamen Vergangenheit: Auf beiden Seiten stehen Kirchen und Moscheen, die nun verlassen sind, oft sogar direkt nebeneinander. Ein Beispiel dafür ist nicht zuletzt die Stadt, in der Bariş Umut lebt. Der griechische Name von Girne lautet Kerínia und es ist auch die Heimatstadt der griechischen Zypriotin Elektra Papa. Doch im Jahr 1974 musste sie die Stadt verlassen, die türkische Besetzung des Nordens zwang sie und ihre Familie zur Flucht. Ihr fiel es deshalb auch deutlich schwerer als Bariş Umut, in den anderen Teil der Insel zu reisen, denn auch wenn sie damals noch ein kleines Kind war, bedeutet es für sie die Rückkehr in eine verlorene Heimat.

Erst ein halbes Jahr nach der Öffnung der Grenzen fuhr Elektra Papa in die besetzten Gebiete und besuchte die Orte, wo sie und ihre Familie früher lebten. Hört man sich ihre Schilderungen an, kann man spüren, wie schwer dieser Ausflug für sie war. Doch so schmerzhaft es war, sie hatte auch ein positives Erlebnis: „Ich war in einem Restaurant. Auf einmal begann der türkisch-zypriotische Besitzer wie selbstverständlich auf Griechisch mit mir zu plaudern und über die guten alten Zeiten zu reden“, erzählt sie. Ebenso wie Bariş Umut wünscht sie sich nichts sehnlicher als die Wiedervereinigung Zyperns, doch die Motive der beiden sind unterschiedlich.

Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung

Die Teilung hatte für den türkischen Teil katastrophale Auswirkungen. Während der griechische Teil seit 1974 einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt hat und in der EU sogar zu den Nettozahlern gehören wird, war der Norden infolge der türkischen Okkupation international isoliert. Genau diese wirtschaftlichen Unterschiede sind eine große Hürde bei der Überwindung der Teilung.

Es ist kaum übersehbar, dass es dem türkischen Teil schlechter geht. Wie im griechischen Teil stehen in der Nähe der Mauer verlassene Häuser, von einigen sind lediglich Ruinen übrig geblieben. Doch im türkischen Teil leben in diesen Bruchbuden sogar Menschen: An den eingefallenen Mauern wurde Wäsche zum Trocknen aufgehängt. „Sie haben uns unsere Zukunft genommen“, klagt der heute 40jährige Bariş Umut. Wie für die meisten türkischen Zyprioten ist das Ende der Teilung für ihn eine Eroberung der Zukunft, eine Entschädigung für die verlorenen Chancen.

Geschichte der Vertreibung

Für Elektra Papa liegen die Dinge anders. Dass die griechischen Zyprioten doch heute besser dran seien, weil es ihnen wirtschaftlich besser gehe, will sie so nicht stehen lassen: „Unser Land wurde von türkischen Truppen besetzt. Wir wurden vertrieben.“, korrigiert sie. Rund 6.000 Menschen kamen bei den Kämpfen ums Leben, fast 200.000 griechische Zyprioten mussten im Jahr 1974 aus dem Norden fliehen.

Das Ende der Teilung bedeutet für die griechischen Zyprioten in erster Linie, dass sie in ihre alte Heimat zurückkehren können. Eine Rückkehr von allen Vertriebenen ist aber kaum vorstellbar, denn genau das würde zu neuen Konflikten zwischen den beiden Volksgruppen führen. Die heutige Teilung der Insel in türkischen Norden und griechischen Süden ist eine willkürliche: Vor der türkischen Besetzung waren die griechischen Zyprioten im Norden in der Mehrheit, sie waren sogar 80 Prozent der Bevölkerung. „Das bedeutet für die damaligen Verhältnisse, dass die Hälfte der griechischen Gesamtbevölkerung Zyperns vertrieben wurde. Sie sind heute Flüchtling im eigenen Land.“

Die Zahlenverhältnisse haben für die griechischen Zyprioten eine große Bedeutung: „Sie sind nur 11 Prozent und bei einer Lösung sollen sie 30 Prozent des Landes bekommen“, klagt Elektra Papa. Sie hat aber Verständnis für die Sorgen der türkischen Zyprioten: „Klar, dass sie mehr Angst vor uns haben als wir vor ihnen. Schließlich sind wir mehr. Sollen sie doch zu uns zurückkommen. Sie sind für uns keine Gefahr.“ Dennoch ist die Frage von Rückkehr der Vertriebenen ein schwieriges Thema bei den Verhandlungen, denn dort wo diese nicht möglich ist, geht es um Entschädigung für die erlittenen materiellen Verluste. „80 Prozent des Bodens im Norden gehörte griechischen Zyprioten“, erklärt Elektra Papa das Problem.

Türkische Zyprioten oder Türken?

Doch der Besitz der griechischen Zyprioten ist nun in türkischer Hand. „Die Häuser der griechischen Zyprioten wurden als „Kriegsbeute“ verteilt, zunächst an Parteimitglieder und Armeeangehörige,“ erklärt Elektra Papa, „aber auch an anatolische Siedler.“ Mit diesem Nachsatz spricht Elektra Papa einen weiteren Aspekt in dem vielschichtigen Zypernkonflikt an. Um die Teilung zu manifestieren, wurden Türken vom Festland dazu animiert, nach Zypern zu ziehen – mit Geld und mit der Aussicht darauf, Besitzungen der griechischen Zyprioten übernehmen zu können. Es waren natürlich in erster Linie regimetreue Türken, aber oft auch arme Bauern oder Kurden, die dieses Angebot annahmen.

Inzwischen sind die Siedler sogar in der Mehrheit, die türkischen Zyprioten dagegen in der Minderheit: 114.000 anatolische Siedler leben im türkischen Teil, aber nur 88.000 türkische Zyprioten. Damit sind die türkischen Zyprioten nicht nur auf der ganzen Insel in der Minderheit, sondern auch in dem Staat, der angeblich ihrer sein sollte.

Sonderlich beliebt sind die Siedler bei den türkischen Zyprioten nicht, auch nicht bei Bariş Umut. Am liebsten wäre es ihm, wenn sie gar nicht auf der Insel wären: „Wir verstehen uns als „Zyprioten“ und nicht als „Türken“. Bei den Siedlern ist es umgekehrt. Sie gehören nicht hier her.“ Für die griechischen Zyprioten sind die Siedler aber ein noch viel größeres Problem: „Sie sind für uns der Inbegriff der Besatzung“, erklärt Elektra Papa, „Wir können nicht mit ihnen zusammenleben.“ Verbittert fügt sie hinzu: „Außerdem leben sie in unseren Wohnungen.“

„Denktaş ist nicht mein Präsident“

Das Ziel der türkischen Siedlungspolitik ist erreicht, denn selbst wenn die türkischen Zyprioten mehrheitlich für das Ende der Teilung sind, sie müssen erst die Siedler davon überzeugen. Da sie zu einem großen Teil auch wählen können, wurde sichergestellt, dass türkeitreue Politiker bei Wahlen die Mehrheiten erhalten. Prototyp dafür ist der türkisch-zypriotische Volksgruppenführer, Rauf Denktaş, der seit 1974 im Norden regiert und seit Jahren eine Lösung des Konflikts torpediert. Bariş Umut ist erbitterter Gegner von Denktaş: „Er ist nicht mein Präsident.“ Die Parlamentswahlen, die im Dezember im Norden stattgefunden haben, waren für Bariş Umut deshalb auch eine Genugtuung: „Die Opposition hat gewonnen!“

Mehmet Ali Talat, ein Befürworter der Wiedervereinigung, wurde neuer Premier und signalisierte bereits am Tag seiner Ernennung Gesprächsbereitschaft mit den griechischen Zyprioten. Bariş Umut setzt alle seine Hoffnungen auf den neuen Ministerpräsidenten: „Talat ist für Friedensverhandlungen, um eine Einigung vor Mai 2004 zu erreichen. Sie werden schon sehen!“

Bariş Umut ist davon überzeugt, dass kein Weg an der Wiedervereinigung vorbei führt, weil die Bevölkerung sie will: „Die jungen Leute haben verstanden. Sie wollen eine Zukunft. Ende März 2003 gingen 50.000 türkische Zyprioten gegen Denktaş und für die Wiedervereinigung Zyperns auf die Straße,“ berichtet er. Zuvor war der letzte Vermittlungsversuch von UN-Generalsekretär Kofi Annan an den Einwänden von Rauf Denktaş gescheitert. Damit war aber vorläufig auch das Schicksal der türkischen Zyprioten besiegelt, denn eine Einigung war Voraussetzung für den EU-Beitritt der gesamten Insel.

Ob die Verhandlungen noch vor dem Beitritt der neuen EU-Mitgliedstaaten von Erfolg gekrönt sein werden oder nicht: Sowohl Bariş Umut als auch Elektra Papa sind davon überzeugt, dass beide Volksgruppen wieder zusammen leben können. Elektra Papa erzählt, dass auch andere griechische Zyprioten bei ihren Reisen in den Norden ähnlich positive Erlebnisse mit türkischen Zyprioten hatten wie sie selbst.

Sie weiß von bewegenden Besuchen von griechischen Zyprioten zu berichten, die nach fast 30 Jahren wieder in ihre Heimat zurückkehren konnten. „Sie wurden von den türkischen Zyprioten sehr freundlich empfangen,“ erklärt sie. Viele türkische Zyprioten hätten betreten reagiert, als die früheren Besitzer der Häuser oder Wohnungen auf einmal vor ihnen standen, in denen sie nun seit mehreren Jahrzehnten gelebt hatten. „Dabei gab es paradoxe Situationen: Oft war alles so, wie sie es verlassen haben, nur dass in den Häusern nun Fremde leben. Es war, als hätten die neuen Besitzer aus Respekt vor ihren Vorgängern sich nicht getraut, etwas zu verändern, denn oft waren sie selbst Vertriebene. Bei dieser Teilung geht es eigenlich beiden Seiten nicht gut, deswegen wollen ja auch beide Seiten die Lösung.“

Zypriotischer Kaffee

Elektra Papa ist zuversichtlich: „Wir lebten doch früher auch zusammen. Das kann in Zukunft wieder so sein.“ Bariş Umut sieht das ähnlich: „Meine Eltern sprechen doch auch beide Sprachen, sie lebten vor 1974 mit den griechischen Zyprioten zusammen. Ich werde einfach Griechisch lernen.“ Auch Elektra Papa hat vor türkisch zu lernen. Außerdem möchte sie sich ihren sehnlichsten Wunsch erfüllen und in ihre Heimatstadt zurückkehren. Vielleicht wird sie dort eines Tages mit Bariş Umut auf einen Kaffee gehen – einen türkischen oder griechischen? Auf einen zypriotischen.


Beide Namen wurden auf Wunsch der Gesprächspartner geändert. Elektra Papa ist ein griechischer Name. Bariş Umut wiederum wählte zwei türkische Wörter als Pseudonym: Bariş bedeutet „Friede“ und Umut „Hoffnung“