Warum „ethnic profiling“ abzulehnen ist – und warum sich die Polizei mit diesem Thema intensiv beschäftigen sollte. Von Sonja Fercher und Barbara Liegl.

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Herr A. ist Georgier. Eines Abends Mitte Juli klopfen drei Kriminalbeamte an seine Wohnungstür in Wien. Sie kontrollieren seinen Ausweis sowie seine Wohnung. Als er nach dem Grund für die Kontrolle fragt, erhält er die Auskunft, dass „alle Georgier und Moldawier“ kontrolliert würden, im Sinne der allgemeinen Sicherheit. Herr A. ist empört über dieses Vorgehen und hört sich in der georgischen Community um und erfährt, dass auch andere seiner Landsleute ähnliche Besuche von der Polizei bekommen haben.

Ermittlungen auf Basis von „ethnic profiling“ lautete die Vermutung von ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit, als uns Herr A. seinen Fall schilderte. Als der Falter den Fall publik machte, wies die Polizei diesen Vorwurf vehement zurück, bestätigte jedoch im gleichen Atemzug, was ZARA schon vermutet hatte. Es sei im Zuge der Gefahrenerforschung notwendig, dass auch unverdächtige Menschen aufgrund ihrer Herkunft von Beamten aufgesucht und befragt werden, erklärte der Leiter der Pressestelle der Bundespolizeidirektion Wien Johann Golob.

Unverdächtige Menschen aufgrund ihrer Herkunft zu befragen: Nichts anderes klassifiziert die Open Society als „ethnic profiling“. Laut ihrer Definition liegt dieses vor, wenn die polizeiliche Entscheidung, wer einer Straftat verdächtigt wird, auf verallgemeinernde Kriterien wie die ethnische Zugehörigkeit, die Hautfarbe, die Religion und/oder die nationale Herkunft basiert, und nicht im Verhalten der beamtshandelten Person begründet liegt.

Leider war es nicht das letzte Mal in diesem Jahr, dass ZARA das Thema „ethnic profiling“ beschäftigte. Und leider mussten wir feststellen, dass die Bereitschaft bei der Polizei sehr gering ist, sich damit auseinanderzusetzen. Ende November präsentierte das Innenministerium den so genannten „Masterplan Einbruchsdiebstahl“. Darin werden verschiedene Tätergruppen nach ethnischer Herkunft dargestellt und man kann beispielsweise „Spezialgebiete der georgischen Tätergruppen“ nachlesen.

Zwar ist im Masterplan explizit festgehalten, dass die enthaltenen Ausführungen über georgische, moldawische oder chilenische Tätergruppen „auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass die Polizei diskriminierende Maßnahmen setzt und ohne Anhaltspunkte Tätergruppen aus bestimmten Herkunftsländern verfolgt.“ Die eingangs geschilderten Ereignisse lassen uns jedoch sehr skeptisch bleiben, ebenso die ablehnende Haltung der Polizei, sich mit dem Thema „ethnic profiling“ grundsätzlich zu beschäftigen.

Dies auch deshalb, weil ZARA immer wieder Fälle gemeldet werden – von selbst beamtshandelten Personen oder von ZeugInnen –, die darauf hindeuten, dass die ethnische Zugehörigkeit nicht nur bei Aktionen wie jener im Juli Basis für polizeiliche Ermittlungen ist.

Um dem klassischen Gegenargument entgegenzutreten: Es versteht sich von selbst, dass es wenig Sinn macht, einen Mostviertler zu verhören, wenn Verdachtsmomente vorliegen, eine Straftat sei von einer Kärntnerin verübt worden. Sehr wohl aber ist es problematisch, Befragungen bei einer Person nur aufgrund der Tatsache durchzuführen, dass sie Angehörige einer bestimmten Gruppe ist. Denn das ist rassistisch.

Oder um es anhand eines anderen Beispiels zu illustrieren, das nicht in Zusammenhang mit Minderheitenzugehörigkeit steht: Über ein halbes Jahr hindurch führt die Polizei verstärkte Alkoholkontrollen von AutolenkerInnen durch. Im Anschluss an diese Aktion wird eine Statistik erstellt, die LenkerInnen gelber PKWs überdurchschnittlich als alkoholisiert ausweist. Die über ein halbes Jahr gemachten Erfahrungen könnten den Stereotyp des „gelben Alki“ entstehen lassen.

Und um das Beispiel auf die Spitze zu treiben: In weiterer Folge beginnt sich die Polizei bei Alkoholkontrollen verstärkt auf gelbe Autos zu konzentrieren. Dies könnte die Folge unterschiedlicher individueller Einstellungen und/oder institutioneller Vorgaben sein: Es könnte entweder einen Masterplan zur lückenlosen Kontrolle aller LenkerInnen gelber Autos geben oder einzelne PolizeibeamtInnen würden FahrerInnen gelber PKWs bereits mit der Einstellung aufhalten, mehr Erfolg beim Nachweis von Alkohol am Steuer zu haben.

Nur welchen kausalen Zusammenhang soll es zwischen dem Lenken eines gelben Autos und dem Alkoholkonsum eines Lenkers oder einer Lenkerin geben? Entgehen der Polizei nicht etliche alkoholisierte LenkerInnen, wenn sie weniger auf rote, blaue oder grüne Autos achtet?

Der einzige Haken an den bisherigen Schilderungen und der gravierende Unterschied zur Problematik, die sich durch den Masterplan Einbruchsdiebstahl aus unserer Sicht ergibt: Die LenkerInnen der gelben Autos würden wahrscheinlich auf eine andere Farbe umsteigen. Die Hautfarbe oder die ethnische Zugehörigkeit aber – sei es die tatsächliche oder die von anderen zugeschriebene –, kann nicht abgelegt werden.

Die Methode ist aber nicht nur abzulehnen, weil sie Vorurteile zur Basis von Ermittlungen macht. Es bestehen außerdem erhebliche Zweifel, ob sie überhaupt zum gewünschten Erfolg führt. So kommt etwa das Open Society Institute in einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung zu dem Schluss, dass es eine Entfremdung jener zur Folge haben könne, deren Kooperation für Ermittlungen aber nötig sein könnte. Demnach kann sie also genau den gegenteiligen Effekt haben, den die Polizei mit ihren Befragungen bei GeorgierInnen und MoldawierInnen verfolgt hat, nämlich „an Informationen aus der Szene zu kommen“ (Wiener Landespolizeikommandant Karl Mahrer, 21.9.2009, orf.at), und zwar „dort, wo Hinweise und Auskünfte zu erwarten sind“ (Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl, 30.9.2009, Heute).

Das Open Society Institute warnt darüber hinaus: „Ermittlungen anhand herkunftsbasierter Personenprofile stigmatisieren ganze Bevölkerungsgruppen nach ihrer Rasse, ethnischen Herkunft und Religion dahingehend, dass diese angeblich mit höherer Wahrscheinlichkeit Straftaten begehen, und vermitteln so der Gesamtgesellschaft den Eindruck, dass alle Mitglieder dieser Gruppe(n) eine Bedrohung darstellen“.

Eine weitere wichtige Lehre der Studie des Open Society Institute ist, dass die Polizeiarbeit effektiver wird, wenn sich die PolizistInnen mit dem Thema auseinandersetzen und ihre eigenen Bilder hinterfragen, die sie bei ihren Ermittlungen im Kopf haben – und die leider oftmals auf Vorurteilen beruhen. Vorurteile, wie sie durch die Darstellung von Tätergruppen nach ethnischer Herkunft wie im „Masterplan Einbruchsdiebstahl“ bestärkt werden können.

Erst kürzlich hat Innenministerin Maria Fekter eine Initiative mit dem Titel „Polizei.Macht.Menschen.Rechte“ vorgestellt, mit der das Verständnis in der Polizei verankert werden soll, dass sie eine Institution zum Schutz und zur Verwirklichung der Menschenrechte ist. In Leitsätzen eines menschenrechtlich fundierten Berufsbilds der Polizei sind eine Reihe von Grundsätze enthalten, die sehr begrüßenswert sind. Nicht enthalten jedoch ist das Thema „ethnic profiling“.

Die Arbeiten im Rahmen des Projekts bieten Ansatzpunkte, wie die Organisationskultur der Polizei verändert werden könnte, so dass Menschenrechte eine zentrale Rolle spielen. Das schließt das regelmäßige kritische Hinterfragen der Ziele von Polizeiarbeit ein, um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit an die Bedürfnisse aller Teile der Bevölkerung anzupassen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Polizei als Menschenrechtsorganisation“ ist aber nur dann glaubwürdig, wenn sich die Polizei dem Thema „ethnic profiling“ sowohl auf struktureller, organisatorischer Ebene als auch auf der Ebene der einzelnen PolizistInnen stellt. (Erschienen in: Asyl aktuell, 4/2009)