Eine aktuelle Studie hat Motive und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen in Österreich erforscht – und räumt mit manchem Klischee auf. (Erschienen in: dieStandard.at)

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Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut gemacht: Daran fühlt sich erinnert, wer die Erzählungen der Sozialwissenschaftlerin Helga Amesberger über die Effekte politischer Maßnahmen zur Sexarbeit in Wien hört. Amesberger, Mitarbeiterin des Wiener Instituts für Konfliktforschung, hat die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen in Wien und Linz untersucht. Das Ergebnis: Während es Ziel der Politik war, die Arbeitsbedingungen der in diesem Bereich tätigen Menschen zu verbessern, wurde mit mancher Maßnahme das genaue Gegenteil erreicht.

Ein Beispiel: In Wien ist Straßenprostitution nur mehr in Außenbezirken erlaubt – doch genau dort gibt es keine Infrastruktur für Sexarbeiterinnen. „Wenn Sexarbeit an den Stadtrand gedrängt wird, wo es keine Stundenhotels gibt, keine Möglichkeiten für die Frauen, sich aufzuwärmen oder gegebenenfalls Schutz zu suchen, dann steigt das Potenzial für Gewalt“, sagt Amesberger. Denn: „Wenn ich in das Auto des Kunden steige und irgendwohin fahren muss, bin ich dem ausgeliefert.“Die Untersuchung von Amesberger ist Teil einer internationalen Vergleichsstudie, in der die Autorinnen die Auswirkungen der Prostitutionspolitik in Österreich und den Niederlanden erforscht haben. Zwar sei die Situation für Sexarbeiterinnen vor Beschluss des Wiener Prostitutionsgesetzes im Jahr 2011 nicht unbedingt besser gewesen, sagt Amesberger. Aber auch nicht zwingend schlechter: „Man darf sich nicht wundern, wenn die Frauen jetzt auf ihre sogenannten Beschützer angewiesen sind.“

Viel Polemik, wenig Wissen

Das ist nicht das einzige Paradoxon, auf das die StudienautorInnen gestoßen sind. Es ist charakteristisch für das Thema, dass die Debatten darüber heftig geführt werden, es aber nur wenige sachliche Informationen über die Situation der SexarbeiterInnen gibt. „Das ist das große Problem speziell in Österreich“, so Amesberger. Es gebe beispielsweise keine verlässlichen Daten darüber, wie viele Bordelle es überhaupt gibt und wie viele Frauen täglich Sexarbeit leisten. Zwar existierten in Wien Schätzungen, weil sich Sexarbeiterinnen registrieren müssen. Doch die Höhe der Dunkelziffer ist völlig unklar.

Vor diesem schwierigen Hintergrund versuchte Amesberger, Informationen über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen zusammenzutragen. Die Forscherinnen befragten 85 Sexarbeiterinnen, davon 59 in Wien und 26 in Oberösterreich, außerdem drei LokalbetreiberInnen. Sie erhoben die Anzahl der Prostitutionsstätten, das Alter der Sexarbeiterinnen, wann der Einstieg in die Sexarbeit erfolgt war; außerdem Details zu Arbeitszeiten, Verdienst und zum Verhältnis zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen.

90 Prozent Migrantinnen

Verlässlich ist die Angabe zur Herkunft der Sexarbeiterinnen – sie deckt sich mit den Angaben von MigrantInnen-Organisationen: Über 90 Prozent der Sexarbeiterinnen in Österreich sind Einwanderinnen, sie kommen hauptsächlich aus Osteuropa, aber auch aus Nigeria und neuerdings aus China. Zum Alter der Sexarbeiterinnen gab es bislang nur Daten aus Wien: Dort waren im Jahr 2010 fast zwei Drittel der registrierten Sexarbeiterinnen zwischen 18 und 30 Jahre alt. Diese Altersgruppe ist seit dem Jahr 2007 deutlich größer geworden, außerdem gibt es immer mehr junge Sexarbeiterinnen.

Jede Zehnte arbeitet unter Zwang

In der öffentlichen Debatte ist die Annahme verbreitet, dass viele Sexarbeiterinnen Opfer von Menschenhandel sind. Die Studie von Amesberger und ihren KollegInnen zeigt, dass dies nur auf jede zehnte Frau zutrifft. „Der Großteil der Frauen, die wir interviewt haben, hat sich den Einstieg in die Sexarbeit sehr wohl überlegt, es ist aus einer eigenen Entscheidung dazu gekommen. In den wenigsten Fällen haben die Frauen ursprünglich nicht gewusst, dass sie in der Prostitution tätig sein sollen“, so Amesberger. Der Einstieg in die Sexarbeit funktioniere meist über Freundinnen, Bekannte oder Verwandte. „Das heißt auch, dass die meisten Frauen aufgrund der Erzählungen von Freundinnen schon wissen, wie es ungefähr abläuft. Oder sie finden mithilfe der Freundinnen und Verwandten in Österreich einen Job.“ Viele Frauen würden sich auch im Internet informieren.

Kaum acht Euro Stundenlohn

Der Grund für den Einstieg in die Sexarbeit ist meistens Geld. „Die meisten Frauen haben sich überlegt: Bleibe ich in Ungarn, in Rumänien und arbeite weiter als Lehrerin, Kindergärtnerin, Verkäuferin oder Friseurin oder gehe ich in die Sexarbeit? Sie haben das Einkommen verglichen.“ Reich werden die Frauen mit Sexarbeit aber nicht. Amesberger schätzt, dass der Brutto-Stundenlohn selten über acht Euro liegt. Dem stehen die teils hohen Ausgaben der Sexarbeiterinnen gegenüber: In Laufhäusern oder Studios müssen sie wöchentlich zwischen 270 und 630 Euro Miete zahlen, in Bordellen werden ihnen 40 bis 50 Prozent der Einnahmen von den BetreiberInnen abgenommen, weitere Kosten fallen an, die schwer durchschaubar sind. Dennoch: Für MigrantInnen ist das eine beachtliche Verbesserung gegenüber dem Leben in ihren Heimatländern.

Heterogener Arbeitsalltag

Der Arbeitsalltag von Sexarbeiterinnen ist vielschichtig, wie Amesberger sagt. Ein allgemeines Bild zu zeichnen sei schwer. Manche Frauen arbeiten neben der Sexarbeit in einem zweiten Beruf – etwa in einem Schönheitssalon oder einem Nagelstudio. Das allerdings sei die Ausnahme, der Großteil arbeite Vollzeit – das heißt oft 60 Stunden pro Woche. Die StudienautorInnen schätzen, dass wenigstens die Hälfte der Sexarbeiterinnen während ihrer Karriere in mehreren Ländern und/oder an unterschiedlichen Orten in einem Land lebt. Der Wohnortswechsel erfolge teils freiwillig, teils aufgrund von Kündigungen.

Angst vor Bestrafung

Wenig hält Helga Amesberger von der aktuell diskutierten und vom Europäischen Parlament beschlossenen Bestrafung von Freiern: Ihre Gespräche mit Sexarbeiterinnen hätten ergeben, dass Zwangsprostituierte oft von ihren Kunden beim Ausstieg unterstützt wurden. „Das läuft oft so, dass ein Kunde die Sexarbeiterin für zu Hause bucht und die Frau dann nicht mehr zurückgeht. Der Kunde stellt entweder eine Wohnung zur Verfügung, die Sexarbeiterin wohnt bei ihm oder es gibt eine Anzeige bei der Polizei.“

Amesberger glaubt, dass die Bestrafung der Freier den Frauen einen Weg versperren würde, um aus der erzwungenen Prostitution auszusteigen: „Wenn ein Kunde für den Kauf einer sexuellen Dienstleistung bestraft wird, wird er sich nicht an die Polizei wenden.“ Ein Urteil der Studie zur Verbotsdebatte lautet denn auch: „Alle Ansätze politischer Eingriffe in die Prostitution sind gleichermaßen anfällig für das zweifache Risiko der Wirkungslosigkeit einerseits und unbeabsichtigter Folgen andererseits.“

Abstimmung mit den Füßen

Die Erhebung liefert also reichlich Stoff zum Nachdenken – auch für die Frauenabteilung der Stadt Wien. In Wien dominiert das Bemühen, die sichtbare Prostitution auf der Straße einzuschränken. Damit liegt die Stadt im EU-Trend. Hinter dieser Maßnahme steht die Annahme, dass Frauen im öffentlichen Raum stärker der Gewalt ausgesetzt seien als im „Indoor-Bereich“. Amesberger ist da skeptisch: Über die Arbeitsbedingungen in Wiener Clubs etwa wisse man zu wenig, schreibt sie in der Studie.

„Sexarbeiterinnen stimmen mit den Füßen ab“, sagt die Sozialwissenschafterin. „Wenn ihnen die Arbeitsbedingungen nicht passen, gehen sie.“ Man könne die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen verbessern, indem man eine Vielzahl an Arbeitmöglichkeiten zulässt. So sei etwa die Wohnungsprostitution eine günstige Form für Frauen, um selbstbestimmt zu arbeiten. „Je mehr Möglichkeiten sie haben, umso eher sind Sexarbeiterinnen in der Lage, ihre Arbeitsbedingungen selbst zu gestalten.“