Am Beispiel dreier Künstler zeigt Soziologe Kastner, welche Fallen lauern, will man die Unterdrückung gesellschaftlicher Gruppen in Bilder fassen (Ein Artikel für derStandard.at )


Wie kann man Themen wie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bebildern, ohne Stereotype zu reproduzieren: Vor diese Frage werden JournalistInnen immer wieder gestellt. Bilder müssen illustrieren, die LeserInnen „in die Geschichte hineinziehen“, lautet die Faustregel. Diese aber führt oft genug dazu, dass MedienmacherInnen auf Stereotypen zurückgreifen. Beliebtestes Beispiel: Bilder zum Thema Migration werden regelmäßig mit kopftuchtragenden Frauen illustriert.

Im Rahmen des ZARA-Talks versuchte Jens Kastner eine kunsthistorische Annäherung an das Thema Minderheiten und Bilder. Am Beispiel der Arbeiten von drei Künstlern zeigte der Soziologe und Historiker auf, über welche Fallstricke man bei der Darstellung von unterdrückten Minderheiten oder Volksgruppen stolpern kann.

Gut gemeint, aber schlecht gemacht

Gut gemeint, aber schlecht gemacht: So lautet zusammengefasst das Urteil Kastners über die Wandgemälde des mexikanischen Künstlers Diego Rivera. Gut gemeint deshalb, weil die Tradition des künstlerischen Realismus, der Rivera angehörte, zwar dezidiert das Ziel verfolgt, die Unterdrückung bestimmter Gruppen zu thematisieren und ihr Leid sichtbar zu machen. Bloß reiche es nicht, eine bislang aus der Gesellschaft ausgeschlossene Gruppe nun einfach einzuschließen.

Vielmehr gehe es auch darum, sie „angemessen“ darzustellen – und eben da sei Rivera in die Falle getappt. In den drei großen Wandgemälden im mexikanischen Nationalpalast räumt der Künstler den Indígenas Mexikos zwar großen Platz ein. Aber: „Die Indigenas agieren auf der Wandmalerei zwar in präkolumbianischer Zeit als Subjekte. Seit der Conquista aber sind sie nur noch eine anonyme Masse“, so Kastner. „Ein Fallstrick der Strategie der Sichtbarmachung ist also die erneute bzw. fortgeschriebene Entmündigung.“

Reduzierung auf die Opferrolle

Umgelegt auf die Medienwelt bedeutet dies: Werden MigrantInnen – ob in Bildern oder Texten – ausschließlich als Opfer dargestellt oder noch dazu, wie Kastner ebenfalls bei Rivera kritisiert, als homogene anonyme Gruppe, so ist auch dies eine stereotype Darstellung, die mit den gesellschaftlichen Realitäten nicht übereinstimmt.

Als zweites Beispiel widmete sich Kastner dem US-Fotografen Walker Evans. Dieser bereiste in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre den Süden der USA, um die dortigen Lebensverhältnisse zu dokumentieren. Evans war „information specialist“ einer Behörde der Regierung Roosevelt, die gegründet worden war, um die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse im ländlichen Süden zu verbessern. Seine Bilder von verarmten Farmerfamilien wurden als Buch mit dem Titel „Let us praise famous men “ publiziert, das bis heute zu den Klassikern der sozialdokumentarischen Fotografie gehört.

Verarmte Farmerfamilien zu personalisiert, „schön“ und zu weiß

Aber auch hier sieht Kastner Defizite: Zum einen fehlt eine wesentliche Gruppe armer FarmerInnen, nämlich jene der Schwarzen. Zum anderen trage Evans zu einer „Individualisierung bzw. Personalisierung des Leidens“ bei, was den Blick auf die strukturellen Ursachen verstelle. Auf eine aktuelle Situation übertragen: Werden Schicksale zu sehr in den Vordergrund gerückt, wie man dies etwa im Fall Arigona geschah, besteht die Gefahr, dass Probleme auf das Schicksal einzelner reduziert werden, was eine differenzierte Debatte verhindert.

Schließlich und endlich stößt sich Kastner an der Ästhetik der Bilder: Zu schön, zu künstlerisch. Dies werfe die Frage auf, inwieweit Evans mit dieser Fotoreihe überhaupt das Ziel verfolge, eine Veränderung der Verhältnisse herbeizuführen, und ob es nicht vielmehr um eine Selbst-Inszenierung des Künstlers gehe. Übertragen auf Medien: Stereotype Bilder „gehen“ oftmals besser, da die LeserInnen eher etwas damit anfangen können und damit ihr Interesse für einen Artikel geweckt wird.

Nicht noch einmal zur Schau gestellt

Am Beispiel Ken Gonzales-Day zeigte Kastner, wie eine radikale Alternative aussehen könnte, um Leiden oder Unterdrückung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen künstlerisch darzustellen: Der US-Künstler und Historiker dokumentierte Lynchmorde an Hispanics, die von Weißen zwischen 1850 und den 1930er Jahren in Kalifornien begangen wurden. Er sammelte Fotos und Postkarten und fotografierte selbst mögliche Tatorte dieser rassistischen Verbrechen und stellte sie zu einer Ausstellung zusammen. Bloß fehlt etwas Entscheidendes: Die Opfer.

Man sieht Bäume oder Strommasten, vor denen sich eine Menschenmenge versammelt hat oder auf denen Weiße bisweilen stolz posieren. Die Erhängten aber hat Gonzales-Day wegretuschiert. Das Ziel: Die Opfer nicht ein weiteres Mal zu Opfern – dieses Mal des Voyeurismus – zu machen.

Löscht er damit die Opfer aus? „Nein“, fand Kastner: „Vielmehr wird das Lynchen ausgelöscht. Daher auch der Titel der Ausstellung „Erased Lynching“. Und der Soziologe ergänzt: „Die Auslassung ist vielleicht die einzige Möglichkeit, dem Opfer seine Subjektivität zurück zu geben oder sie posthum überhaupt zu ermöglichen: Indem der Gehängte nicht noch einmal zur Schau gestellt wird.“

Bei der Umlegung auf die heutige bilderreiche Medienwelt ergeben sich hier jedoch Schwierigkeiten: Teile von Bildern einfach wegzuretuschieren ist schon aufgrund der Bildrechte kaum möglich. Hier ist eine neue Kreativität der Bildredaktionen gefragt, um Stereotype zu umgehen, die Würde von Minderheiten oder Opfern von Rassismus zu wahren und an den Rand Gedrängte nicht nur als Opfer, sondern als aktive Teile der Gesellschaft darzustellen.

Links:
Jens Kastner
Ken Gonzales-Day