Zypern könnte schon bald keine geteilte Insel mehr sein – Eine Reportage für derStandard.at vom Grenzübergang in der symbolträchtigen Ledra-Straße.

***

„Wo gibt es denn diese Zettel?“, fragt ein älterer Herr. Gemeint ist der Visumsantrag, den man sich bei den türkisch-zypriotischen Behörden holen muss, ein kleiner Zettel, auf dem die Passierwilligen Namen, Passnummer und Staatsbürgerschaft angeben müssen. Die Warterei führt zum Glück nicht zu Konflikten, ganz im Gegenteil: Geduldig warten griechische wie türkische Zyprioten gemeinsam mit TouristInnen aus aller Herren Länder darauf, einen Stempel von den türkisch-zypriotischen Beamten zu bekommen. Erst damit kann man in den türkischen Teil der geteilten Hauptstadt gehen.


Rückblende in die Vergangenheit

Jenseits des Grenzübergangs spielen sich rührende Szenen ab, die fast zu romantisch wirken, um wahr zu sein. Auf türkischer Seite verkauft ein Straßenverkäufer Backwaren – und gibt sein Griechisch zum Besten, sehr zur Freude von mehreren älteren griechischen Zyprioten, die sich hier eine Stärkung holen wollen. Es ist wie eine Rückblende in die Vergangenheit, als diese Menschen noch miteinander gelebt haben. Die meisten türkischen Zyprioten sprachen damals Griechisch, denn sie lebten als Minderheit überall auf der Insel.

Symbolisch ist diese Szene aber auch für die Ledra Straße an sich, denn für die Türken ist sie die Logmaci Gate – benannt nach den leckeren Teigbällchen „Lokma“, die auf griechischer Seite „Loukoumades“ heißen, und die der Verkäufer an diesem Tag nicht nur an griechische Zyprioten verkaufte.

Sechster Grenzübergang

Eigentlich aber ist es überraschend, dass es immer noch Begegnungen wie diese gibt. Schließlich ist der Übergang an der Ledra Street schon der sechste, der seit 2003 eröffnet wurde, seit damals können die Zyprioten in den jeweils anderen Teil gehen. Und doch ist der Übergang an der Ledra Street etwas Besonderes „Was an dieser Stelle passierte, hat immer schon die politische Lage auf ganz Zypern reflektiert“, erklärt Eleni Mavrou, Bürgermeisterin des griechischen Teils. Schon Ende der 50er Jahre nämlich errichteten türkische Zyprioten Barrikaden, um sich vor den Angriffen griechisch-zypriotischer Nationalisten zu schützen. Der offene Ausbruch des Bürgerkriegs in den 60er Jahren markierte den Beginn der Teilung der Hauptstadt, die 1963 von der UNO vollzogen wurde. Green Line, so heißt die Grenze auch heute noch in Erinnerung an den grünen Stift, der die Stadt in zwei Teile teilte.

Shoppingmeile und Basar

Zudem wird genau hier deutlich, was die Trennung bedeutet. Schließlich teilt der Übergang die früher sehr belebte Einkaufsstraße in zwei nun völlig verschiedene Teile: Im griechischen Teil hat sich die Straße zu einer richtigen Shoppingmeile entwickelt, im türkischen Teil gleicht sie einem Basar. „Es ist, als würde man wirklich zwischen den beiden Ländern Griechenland und Türkei wandeln, und das innerhalb von wenigen Minuten“, staunt eine Touristin.

Bloß treffen sich hier ehemalige Nachbarn – oder junge Menschen, die mit der willkürlichen Teilung, die quer über die Insel führt, nichts anfangen können. „Ich habe einmal vor Jugendlichen gesprochen, um sie von dem Nutzen der Wiedervereinigung zu überzeugen. Damals habe ich die guten, alten Zeiten gepriesen, als die beiden Volksgruppen noch zusammengelebt haben“, erzählt der Ehrenvorsitzende der Sozialisten, Vassos Lyssarides, der so etwas wie ein politisches Urgestein Zyperns ist. „Die haben mich angesehen, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen und einer von ihnen sagte mir: Sir, es war Ihre Generation, die den Krieg begonnen hat. Wäre das nicht passiert, hätten wir all diese Probleme nicht“, berichtet der 88-Jährige nachdenklich. Und er fügt hinzu: „Würde die Entscheidung über die Wiedervereinigung nur in den Händen der Zyprioten liegen, hätten wir schon längst Frieden gemacht.“

Lösung Schritt für Schritt

Zwar spielt vor allem die Türkei als fremde Macht eine wichtige Rolle. Ganz so einfach, wie dies auch andere griechisch-zypriotische Politiker gerne darstellen, werden die Verhandlungen zwischen griechischen und türkischen Zyprioten vermutlich nicht sein. Nichts desto weniger gibt die Art und Weise, wie sich die Öffnung abspielt, Grund zur Hoffnung. „Das Besondere ist, dass es keine Animositäten oder offenen Feindseligkeiten zwischen den Menschen auf beiden Seiten gibt. Zwischen Israelis und Palästinensern würde das nicht so problemlos ablaufen“, schätzt der Politikwissenschafter Joseph S. Joseph. „Das ist eine wesentliche Grundlage, um eine Lösung Schritt für Schritt umsetzen zu können.“

In Sprache der früheren Kolonialherren

Wie wichtig vertrauensbildende Maßnahmen sind, zeigt die Öffnung dieses Grenzübergangs. „Ja, ich bin schon öfter auf der anderen Seite gewesen, aber über diesen Übergang gehe ich zum ersten Mal“, erzählt ein griechischer Zypriot, der eigentlich nur auf Urlaub hier ist. Wie viele andere ist er mit seiner Familie bereits vor Jahren ausgewandert. Gemeinsam mit seinem Sohn besichtigt er nun den türkischen Teil, an der Selimiye-Moschee treffen wir uns wieder: „Die Öffnung des Überganges ist wirklich ein großartiger Schritt“, befindet sein Sohn. Ähnlich wie sie besichtigen viele Griechen den Norden oder Türken den Süden. In beiden Teilen ist die jeweils andere Sprache zu hören, ob bei Sehenswürdigkeiten oder in Lokalen. Bestellt wird zumeist auf Englisch, die Sprache der früheren Kolonialherren.

Irgendwie aber lassen all diese positiven Geschichten trotzdem eine gewisse Skepsis aufkommen, schließlich gab es sie auch im Jahr 2003 mit der ersten Öffnung der Grenze – und trotzdem scheiterte das Referendum trotzdem scheiterte. Trotzdem scheint sich die positive Einschätzung des Politologen Joseph in der Schlange an der Ledra Street bestätigt. Dass der Übergang von den griechisch-zypriotischen Behörden am ersten Tag kurzfristig geschlossen wurde, scheint nur ein einmaliger Zwischenfall gewesen zu sein.

Neuer politischer Schwung

Im Großen und Ganzen verläuft der kleine Grenzverkehr hier nicht nur problemlos, die positive Stimmung bestätigt die Erwartungen an den neuen Präsidenten. „Man weiß, dass man vielleicht keine weitere Chance hat“, begründet Joseph seine Zuversicht. Zudem habe der neu gewählte griechisch-zypriotische Präsident, Dimitris Christofias, nicht nur die Persönlichkeit, sondern auch den politischen Hintergrund, um tatsächlich eine Lösung zu finden. Schließlich hat seine Partei, die AKEL (Partei des werktätigen Volkes) traditionell gute Beziehungen zu den türkischen Zyprioten, die weit älter sind als die Teilung der Insel im Jahr 1974.

Die Wahl von Christofias wiederum brachte neuen Schwung in die Bemühungen um ein Ende der Teilung. Diese Veränderung an der Staatsspitze ermöglichte zugleich eine Einigung im Tauziehen um die Öffnung der früher ungeteilt beliebten Einkaufsmeile Ledra Street. Aber so sei es nun einmal auf Zypern, analysiert Joseph: weil man ein präsidentielles System habe, sei der Präsident die zentrale Figur. Nun sei Christofias an der Reihe und könne die Politik machen, die er sich vorstellt. Joseph traut ihm viel zu – und Spielraum für Kompromisse gibt es aus seiner Sicht in jedem Fall. Nicht umsonst aber warnt Mavrou davor, voreilige Schlüsse zu ziehen: „Meiner Ansicht nach ist es noch zu früh, um beurteilen zu können, ob die jetzt gesetzten Schritte tatsächlich zu einer Lösung führen.“ Schließlich fängt man gerade erst an.