Trotz schiefer Optik ist die von SPÖ-Chef Gusenbauer angestoßene Debatte über Nationalratsmandate von Spitzengewerkschaftern überfällig. (Ein Komment@r für derStandard.at.)


Nun hat also Gusenbauer angesichts der anhaltenden ÖGB-Krise die Notbremse gezogen. Zwar wäre es glaubwürdiger, hätte der SPÖ-Chef diesen Schritt nicht erst angesichts der neuen Enthüllungen gewagt, die den ÖGB weiterhin beuteln. Es ergibt keine gute Optik, wenn Gusenbauer sich zuerst dafür ausspricht, dass der ÖGB-Chef weiterhin im Nationalrat vertreten ist, und seine Meinung ändert, wenn er den Wahlerfolg der SPÖ gefährdet sieht.

Dennoch: Es ist eine nötige Entflechtung zwischen den beiden Organisationen und besser sie passiert spät als gar nicht – im übrigen gilt das gleiche auch für die ÖVP, auf deren Mandat GÖD-Chef Wolfgang Neugebauer im Nationalrat sitzt. Die Reaktionen etwa aus der Wiener Landespartei zeigen aber, wie schwierig dies sein wird – und wie wenig man in der SPÖ bereit ist, die Krise des ÖGB in all ihren Facetten zu diskutieren.

„Dreieinhalb oder vier Monate vor der Wahl ist so eine Diskussion entbehrlich. Jetzt haben wir etwas anderes zu tun“, meinte der Wiener Bürgermeister Michael Häupl. Genau das aber ist eine Fehleinschätzung, es ist höchste Zeit für die Debatte. Denn auch die SPÖ wird bei den Wahlen daran gemessen werden, wie sie mit der ÖGB-Krise umgeht, ob sie nun selbst direkt darin involviert war oder nicht.

Zu Beginn des Bawag-Skandals plädierte der Politikwissenschaftler Emmerich Tálos dafür, die Krise als Chance zu nehmen und längst überfällige Veränderungen vorzunehmen. Die Krise wurde nämlich nicht erst durch den Bawag-Skandal ausgelöst. Dieser bestätigte nur Vorwürfe der Freunderlwirtschaft, die immer wieder von der rechten Reichshälfte gegen den ÖGB erhoben wurden.

Das ist aber nur eine Facette, eine andere ist die Verflechtung zwischen ÖGB und politischen Parteien. Natürlich ist es sowohl für den ÖGB als auch für die SPÖ unangenehm sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Immerhin hat das derzeitige System aus Sicht der Gewerkschaften über Jahrzehnte hinweg gut funktioniert: Über den Sitz im Parlament hatte die Gewerkschaft ein Mittel, auf Entscheidungen der SPÖ Einfluss zu nehmen. Zugleich hat die Gewerkschaft immer mehr an Glaubwürdigkeit eingebüßt, wenn sie zwar öffentlich gegen ein Gesetz wetterte, die Gewerkschafter unter den Abgeordneten es dann aber dennoch brav mitbeschlossen. Es geht für die Gewerkschaft darum, Handlungsfreiheiten zu gewinnen und damit auch ihre Positionen unabhängig von der Parteilinie von SPÖ oder ÖVP definieren zu können.

Aber nicht nur das: Seit Schwarz-Blau/Orange wurde die Sozialpartnerschaft weitgehend verdrängt. Deshalb geht es für den ÖGB auch darum, unter den veränderten Rahmenbedingungen neue Wege der Interessenvertretung zu finden. Ebenso muss sich die Gewerkschaft mit der Tatsache auseinandersetzen, dass ihre bisherige Politik vor allem für jene ArbeitnehmerInnen von Vorteil war und ist, die ein Normalarbeitsverhältnis haben. Die Interessen von Teilzeitbeschäftigten, darunter vor allem Frauen, und jungen ArbeitnehmerInnen hingegen wurden außen vor gelassen.

Natürlich ist der Zeitpunkt für SPÖ und ÖGB unangenehm, es führt aber kein Weg daran vorbei, all diese Debatten zu führen. Nur so können die beiden Organisationen ihre Glaubwürdigkeit wieder zurückgewinnen.