Heute vor 75 Jahren fand eine Hetzjagd gegen Jüdinnen und Juden statt, es brannten Synagogen, Geschäfte wurden geplündert und es zeichnete sich ab, mit welcher Gewaltbereitschaft der Antisemitismus der Nazis einher ging. Nun wird dieser Ereignisse überall gedacht, und das ist auch gut so. Denn es gibt nach wie Menschen, die Juden und Jüdinnen zum Sündenbock machen. Längst nicht alle Vorurteile kommen so klar daher wie beispielsweise in Bezug auf die Weltwirtschaftskrise, für die manche nach wie die „jüdischen Spekulanten von der Ostküste“ verantwortlich machen. Vielmehr wurden die Vorurteile ausgefeilter, ihnen zu begegnen mitunter eine große Herausforderung.

Dazu kommt, dass es gibt immer mehr von denen gibt, die mit dem Gedenken an diese Zeit nicht umzugehen wissen: Wann wird das endlich aufhören, dass wir schuldig gemacht werden? Dass es nicht um Schuld geht, ist eine zwar wichtige Gratwanderung, sie zu vermitteln ist aber oftmals ausgesprochen schwierig.

Zugegeben, es ist schwierig, sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Auch ich ertappe mich immer wieder bei dem Gedanken, dass es schlichtweg unvorstellbar ist, dass so viele Menschen misshandelt, missbraucht und umgebracht werden konnten. Dass es schlichtweg unvorstellbar ist, wie sich ein ganzes menschenverachtendes System etablieren konnte, das diese Verbrechen organisiert hat, und dass es genug Menschen gab, die mitgemacht haben.

Zuletzt ertappte ich mich bei diesem Gedanken, als ich kürzlich in Steyr war. Anlass war die Eröffnung des „Stollens der Erinnerung“, eine Ausstellung über die NS-Vergangenheit der Stadt und des dortigen Rüstungsbetriebs. In dieser Ausstellung gibt es eine Luftaufnahme, die das ganze Konglomerat an Lagern zeigt, in denen KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter interniert und Zivilarbeiter untergebracht waren. Es ist ebenso ungreifbar wie die Luftaufnahme des KZ Auschwitz-Birkenau. Und doch ist es passiert.

Die Herausforderung besteht darin, auch das Unbegreifliche begreifbar zu machen, während immer weniger ZeitzeugInnen leben, die Zeugnis vom Unbegreiflichen ablegen können. Dazu braucht es neue Methoden, die genau bei dieser Unmöglichkeit ansetzen müssen, mit dem Unbegreiflichen zurecht zu kommen, es zu akzeptieren, zu lernen, dass der Mensch auch dazu in der Lage ist und herauszufinden, wie man verhindern kann, dass es jemals wieder passiert.

Von meiner Arbeit bei ZARA weiß ich, dass ein anderer großer Fehler in der Aufarbeitung darin besteht, Kindern und Jugendlichen mit dem moralischen Zeigefinger zu begegnen. Auch das ist eine Gratwanderung: Wie kann man Vorurteilen begegnen, die auch den Nationalsozialismus möglich machten, ohne diese Konsequenz sogleich zu unterstellen und so zu bewirken, dass Jugendliche zumachen. Wie lässt sich aber dennoch die Verantwortung vermitteln, die jeder und jede einzelne dabei sehr wohl auch heute noch hat, damit es nie wieder so weit kommt?

Dazu reicht es nicht, bei Gedenktagen wie heute über die damaligen Ereignisse zu berichten und anzuprangern, wie verbreitet oder gar salonfähig Antisemitismus auch heute noch ist. Das sind zweifellos wichtige Elemente. Leider aber bleibt man allzu oft bei der Anklage stehen.

Einen spannenden anderen Beitrag leistet die Reihe „75 Jahre Novemberpogrom“, die in ganz Österreich Veranstaltungen und Führungen auf die Beine gestellt hat. Ein anderer guter Beitrag ist die Ausstellung „Die Gerechten“ im Museum Arbeitswelt in Steyr, bei der jene gewürdigt werden, die Jüdinnen und Juden gerettet haben. Sie zeigt, dass es eben nicht nur TäterInnen gab, sondern auch Menschen, die selbst in kleinem Rahmen widerstanden haben. Zur Exkulpierung darf das keinesfalls dienen, sehr wohl aber dazu, Menschen einen Zugang zu eröffnen, sich mit dieser Zeit und den damals begangenen Verbrechen auseinanderzusetzen. Es gibt sicherlich noch viele, viele andere Beiträge, die man an dieser Stelle erwähnen könnte und die meiner Aufmerksamkeit entgangen sind.

Ach ja, und was meiner Meinung nach viel zu kurz kommt, ist die Beschäftigung mit der Geschichte abseits von Gedenktagen – und zwar indem man das Leben der Opfer ins Gedächtnis zurückzuholt, bevor sie zu Opfern wurden so wie es etwa die Sammlung Dichter in Ottakring macht. Da gibt es noch viele, viele Geschichten zu erzählen, die einen unbefangeneren Zugang zum Thema ermöglichen und es so hoffentlich ein wenig einfacher machen, das Unbegreifbare begreifbar zu machen.