Asienforscher Wagner: Durch das harte Durchgreifen kann sich der Präsident im In- und Ausland als „Bollwerk gegen die Islamisten“ inszenieren. Ein Interview für derStandard.at


Seit mehreren Tagen liefern sich Koranschüler der „Roten Moschee“ mit pakistanischen Sicherheitskräften gewalttätige Auseinandersetzungen – doch diese sind nur der Höhepunkt eines Konflikts, der bereits seit einem halben Jahr andauert. Im Interview mit derStandard.at erklärt Asienforscher Christian Wagner Hintergründe des Konflikts und warum gerade jetzt für Präsident Pervez Musharraf der richtige Zeitpunkt gekommen ist, ihn zu beenden. Das Gespräch führte Sonja Fercher.

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derStandard.at: Warum reagiert die Regierung Musharraf mit dieser Härte: Haben die Auseinandersetzungen um die Rote Moschee das Potenzial, Pakistan zu destabilisieren?

Christian Wagner:
Nein, das glaube ich nicht. Im Grunde hält diese Auseinandersetzung schon seit sechs Monaten an, nur hat es die Regierung bislang immer verabsäumt, eine Lösung herbeizuführen.

Zudem haben radikale Mobs aus der Moschee in den letzten Wochen Buch- und Videoläden in Islamabad überfallen und Polizeioffiziere als Geiseln genommen. Erst in den letzten Tagen ist die Situation mit den Kämpfen noch einmal eskaliert, was die Regierung nun zu diesem harschen Eingreifen veranlasst hat.

derStandard.at: Worum geht es bei diesem Konflikt?

Wagner: Jene, die sich noch in der Moschee befinden, fordern eine Islamisierung des Landes und die Einführung der Scharia nach dem Vorbild der Taliban. Das kann die Regierung natürlich nicht akzeptieren.

derStandard.at: In der Moschee soll immerhin die Elite des Landes, darunter auch Angehörige des Geheimdiensts ISI, ihre Gebete verrichten. Ist das symbolisch für das ambivalente Verhältnis, das Musharraf und der Geheimdienst ISI zu den Islamisten pflegen?

Wagner: Es ist ein gutes Beispiel für diesen Graubereich, in dem sich die Regierung in diesem Zusammenhang bewegt. Wie gesagt, dauert dieser Konflikt schon seit Januar an, und erst vor zwei Tagen hat man die Strom- und Wasserversorgung für die Moschee abgestellt. Hätte man dies bereits im Januar oder Februar gemacht, wäre der Konflikt wahrscheinlich nicht in dem Maße eskaliert.

Andererseits hat man diesen Konflikt wahrscheinlich auch deshalb nicht beendet, um sich zu einem geeigneten Zeitpunkt als Bollwerk gegenüber den Islamisten darstellen zu können.

derStandard.at: Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt?

Wagner: Einerseits stehen im Herbst Wahlen bevor. Mit einer derartigen Aktion nimmt Musharraf das Heft des Handelns in die Hand und demonstriert auch dem Ausland die Stärke seiner Regierung.

Dazu kommt, dass in den nächsten Tagen ein Treffen der großen Oppositionsparteien stattfinden wird – wahrscheinlich in London – bei dem diese ihr weiteres Vorgehen beratschlagen werden.

derStandard.at: Wie viel Macht haben denn die Islamisten überhaupt?

Wagner: Sie sind eigentlich eine vergleichsweise kleine Gruppe. Bei Wahlen kommen die gesamten religiösen Parteien auf nicht mehr als zehn Prozent. Innerhalb des Spektrums dieser zehn Prozent wiederum sind die radikalen Gruppen nur eine Minderheit.

Es wird oft übersehen, dass es in Pakistan eine sehr breite, auch liberale und tolerante muslimische Opposition gegenüber Musharraf gibt. Sie begrüßen jetzt aber auch das Vorgehen gegen die Islamisten, weil sie nicht wollen, dass Islamisten an die Macht kommen.

derStandard.at: Musharraf wird nachgesagt, die Extremisten als Machtinstrumente zur Sicherung seiner Herrschaft zu nutzen. Wie muss man sich das vorstellen?

Wagner: Er hat die Islamisten und vor allem die religiösen Parteien im Parlament immer wieder genutzt, um eigene Interessen durchzusetzen, zum Beispiel im Jahr 2003, als sie sehr weitreichende Verfassungsänderungen mitbeschlossen haben.

Damals hätte er im Gegenzug eines seiner beiden Ämter (Präsident und Oberbefehlshaber des Heeres) aufgeben sollen. Das hat er aber nicht getan, weshalb er es sich mit den religiösen Parteien verscherzt hat.

Dazu kommt, dass bei den religiösen Parteien noch eine ethnische Komponente gibt: Meistens haben sie ihre Hochburgen in den paschtunischen Gebieten, nämlich an der Grenze zu Afghanistan.

Die Situation dort ist sehr schwierig, weil auf der einen Seite militante Paschtunen die Taliban unterstützen. Man weiß nicht so richtig, ob die Regierung das nicht kontrollieren kann oder ob sie es nicht will, zumal die Armee ja in den Kämpfen auch schwere Verluste erlitten hat.

derStandard.at: Die Moschee soll von den Taliban unterstützt werden. Welchen Zusammenhang gibt es hier?

Wagner: Es gibt eine geistige Nähe. Außerdem war die Rote Moschee bereits in den 80er Jahren beim Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan eine Art Ausbildungszentrum. Auch eine Reihe von Mitgliedern verbotener, militanter islamistischer Organisationen in Pakistan, sind dort ein- und ausgegangen.

Es war also früher schon ein Sammelpunkt radikaler Gruppen und ist es das auch weiterhin.

derStandard.at: Nach 9/11 kamen Koranschulen ins Gerede, weil einige zur religiösen Indoktrinierung von potentiellen Terroristen missbraucht wurden. Werden eigentlich in allen Koranschulen radikale Lehren verbreitet?

Wagner: Nein. Hier gibt es zwei Faktoren. Erstens spiegelt der Zuwachs der Koranschulen in gewisser Weise die Fehler des staatlichen Schulsystems wider. Viele Kinder gehen nur deshalb da hin, weil sie auch einmal etwas zum Essen bekommen und so etwas wie eine Grundbildung, was die staatlichen Schulen kaum leisten können.

Zum Zweiten ist es nur eine Minderheit der Koranschulen, in der diese Militanz propagiert wird. Die Mehrzahl der Koranschulen ist einfach ein Ersatz für ein völlig defizitäres, staatliches Bildungssystem.

Die Regierung versucht seit vielen Jahren, die Koranschulen zu reformieren und die Lehrpläne zu modernisieren. Das kommt aber alles nur sehr schleppend voran.