Ich muss gestehen, dass ich immer noch fassungslos bin, wie viele das Foto eines ertrunkenen Kleinkinds in den sozialen Medien weiterverbreitet haben. Kürzlich habe ich anlässlich des von der Krone veröffentlichten Fotos der im LKW ermordeten Vertriebenen von der Würde der Menschen gesprochen, die im Mittelmeer ertrinken und deren Fotos in vielen, vielen Medien gezeigt werden. Am Dienstag dann war ich am Westbahnhof und erlebte mit, wie Kameras sich um die Vertriebenen drängten, die gerade erst den Zug verlassen hatten, und zum Teil den Freiwilligen im Weg standen, die diesen Menschen Getränke, Essen und andere Spenden überreichen wollten.
Nun machen auch die Kameraleute ihren Job, die meisten von ihnen wissen sehr gut um das schwierige Spannungsfeld, in dem sie sich bewegen. Dennoch würde ich mir manchmal wünschen, dass wir Medienmenschen innehalten, auch mal aus dem Weg gehen oder aus der Distanz beobachten.
Manche halten es für wichtig, Fotos wie jenes von dem ertrunkenen Kleinkind oder auch jenes der erstickten Menschen im LKW zu zeigen. Um wachzurütteln. Um auf die Dimension eines Unrechts hinzuweisen. Gerne wird der Zusammenhang mit dem jungen vietnamesischen Mädchen hergestellt, das damals eine Wende in der US-Öffentlichkeit herbeigeführt habe. Allein, ich habe da so meine Zweifel. Ich frage mich nämlich, ob es nicht vielmehr zum Symbol für etwas stilisiert wurde, das bereits voll im Gange war, nämlich die immer größer werdende Ablehnung des Vietnamkriegs in der US-Öffentlichkeit. Dieses brauchte ein Symbol. Dass dem so ist, muss noch nicht unbedingt problematisch sein. Die Frage ist nur, ob man das reflektiert oder es als Vorwand nimmt, um erneut ein Kind in Not zu einem Symbol zu stilisieren, in dem Fall sogar ein totes Kleinkind.
Opfer, schon gar Kinder zu einem Symbol zu stilisieren, damit bitte endlich die Öffentlichkeit, Politik, … aufwachen möge: Das halte ich schlichtweg für Missbrauch eines schrecklichen Schicksals für politische Ziele. Es starb, weil an anderer Stelle falsche Entscheidungen getroffen wurden und werden. Wenn man das nicht anders zu vermitteln weiß als mit einem solchen Bild, dann gibt es in der Tat ein grundsätzliches Problem. Ähnliches halte ich jenen entgegen, die meinen, dass es wichtig ist, wenn dem Krone-Publikum mit dem Bild der im LKW ermordeten Vertriebenen konfrontiert ist. Deshalb werden manche ja dann doch ihre Meinung ändern, argumentieren sie.
Oftmals aber geschieht genau das Gegenteil: Weil es so fürchterlich ist, wendet man sich ab. Das ist auch der Grund, warum die allzu herzzerreißenden Geschichten über das Schicksal von Vertriebenen zwar gut gemeint sind, aber letztlich meist jene bestätigen, die ohnehin schon überzeugt sind, dass den Vertriebenen eine bessere Behandlung oder gar Aufnahme gebührt – und sich jene abwenden, die man eigentlich überzeugen möchte. Damit eng verbunden ist allerdings die Frage: Soll Journalismus überzeugen? Ich meine ganz klar: Nein. Er darf Partei beziehen, keine Frage, aber wenn diese Parteinahme so weit geht, dass man beeinflussen will, welche Partei die LeserInnen einnehmen sollen, ist es mit Journalismus vorbei. Er soll und muss aufklären, er soll und muss verschiedene Seiten beleuchten, er soll und muss Distanz wahren, so schwierig das auch immer wieder ist.
So muss Journalismus: Mit diesen Worten wurde kürzlich der Auftritt von Lou Lorenz-Dittelbacher kommentiert, weil sie als Moderatorin selbst den Tränen nahe war. Ich frage: So muss Journalismus? Im ernst? Wer entscheidet denn dann, bei welchen Themen einem/r die Emotionen durchgehen dürfen und bei welchen nicht? Dass es ihr so ging, halte ich im Übrigen keineswegs für unprofessionell. Auch JournalistInnen sind „nur Menschen“, die nicht jede Nachricht kalt lässt. Das ist auch gut und richtig so, denn JournalistInnen zu erwarten, die immer und überall einen klaren Kopf bewahren wäre schlichtweg unmenschlich. Das ist aber etwas anderes, als wenn man das zur Norm erheben will. Es gibt aus gutem Grund eine professionelle Ethik, die eben verhindern will, dass JournalistInnen zu Parteien werden, im schlimmsten Fall im Namen einer angeblichen Wahrheit.
Auch ich halte in sozialen Medien nicht mit meinen Meinungen hinter den Berg. Ich halte das nämlich für das richtige Medium dafür, denn sie sind nun einmal Medien der Empörung – aber eben auch der Information von Menschen, zu denen man vorher nicht so einfach Zugang hatte, sei es als Journalistin oder als Bürgerin. Umso wichtiger aber ist es, dass sich „traditionelle“ Medien sehr genau überlegen, was sie tun. Denn nicht Empörung auszulösen sollte ihr Ziel sein, sondern Informationen zu liefern, die es den BürgerInnen ermöglichen, sich ihr eigenes Bild zu machen. Mag naiv klingen, aber ich glaube fest an diesen wichtigen Anspruch an Journalismus. Deshalb wünsche ich mir auf vielen Ebenen: Mehr Zurückhaltung, bitte – und im Zweifel auch einmal einen Schritt zurücktreten, von dort lässt sich nämlich auch vieles erleben und berichten, ganz ohne dass man Freiwilligen im Weg steht.
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