Es ist Dienstagabend und es strömen immer mehr Menschen zum „Zénith“, einer Konzerthalle im Norden von Paris. Es ist jener Saal, in dem bereits Serge Gainsbourgh aufgetreten ist oder in jüngerer Vergangenheit Bands wie Green Day, The Chemical Brothers, Marylin Manson, Bryan Adams oder Sting, um nur einzelne zu nennen. Doch an diesem Abend wird man hier mit klassischer Musik begrüßt und mit Massen von französischen Fahnen und Wahlwerbung für Marine Le Pen, die Kandidatin des Rechtsexremen Front National und Tochter von Jean-Marie Le Pen. Auf den Sitzplätzen liegen Flugblätter, ausrollbare Banderolen mit dem Namen Marine Le Pen und Fahnen.

Während sich der Saal füllt, gehört die Bühne den Vorrednern von Le Pen – es sind auch jene, die den radikalen Part übernehmen, den Marine Le Pen selbst größtenteils auslässt. Denn sie selbst will die „dédiabolisation“ des Front National, also die „Entdiabolisierung“. Es gebe eine unkontrollierte Zuwanderung, gegen die niemand etwas tue, schimpft Gilbert Collard, Leiter des Unterstützungskomitees von Le Pen. „Es muss erst einer dieser armen Teufel sterben, damit man erkennt, dass unter ihnen Terroristen sind „, sagt er in Anspielung auf die Morde von Toulouse und Montauban. „Damit ist es nun vorbei!“ Die ZuseherInnen jubeln und stampfen mit den Füßen auf den Boden. Buhrufe hingegen gibt es jedes Mal, wenn der Name Sarkozy fällt. „Verräter!“, ruft hinter mir ein Mann. Und der Name des amtierenden Präsidenten fällt öfter, denn gerade in seinem WählerInnenpool hofft der Front National noch fischen zu können.

Dann steigt auf einmal die Nervosität im Saal: Marine Le Pen betritt den Saal und erklimmt die Bühne. Als sie dort angelangt ist, kennt der Jubel fast keine Grenzen mehr. „Marine, présidente! Marine, présidente!“ wird gerufen, Fahnen geschwenkt, nur noch wenige Menschen sitzen. Ihr Auftritt macht verständlich, warum viele Menschen von dieser Person fasziniert sind. Sie versteht es perfekt, mit dem Publikum zu interagieren, sie punktet mit Humor, Ironie – und mit klaren Ansagen.

„Ich bin die einzige Kandidatin, die in der Lage ist, die Menschen zu beschützen. Ich bin die einzige Kandidatin der Nation.“ Sie sei die „exception francaise“, die französische Ausnahme, dieser Wahl, der „Pol für die nationale Erneuerung“, erklärt sie unter immer tosender werdendem Beifall des Publikums.

Inhaltliche Unterschiede zu ihrem Vater sind höchstens kosmetischer oder strategischer Natur. Die oftmals rüpelhaften Ansagen ihres Vaters lässt sie aus, doch die Ausrichtung bleibt die gleiche. „Vorrang für die Franzosen der französischen Republik“ fordert sie und erntet großen Jubel, gepaart mit dem Geräusch aufstampfender Füße. „Wir leben in einem Land, in dem wir jeden Tag weniger das Gefühl haben, noch bei uns zu sein“, erklärt sie. Im Publikum werden Sprechchöre laut, die „Protegez-nous!“ oder „On est chez nous“ rufen, also „Schützen Sie uns“ oder „Das ist unser zu Hause.“ Ähnlich wie auch die FPÖ verspricht sie mehr direkte Demokratie: Sie werde ein Referendum über all jene Themen machen, „bei denen es wichtig ist, dass die Stimme des Volkes gehört wird“, verspricht sie.

Es gebe einen Zusammenhang zwischen der Zuwanderung und der anti-sozialen Politik in diesem Lande, meint sie. Und sie weist zurück, dass ihre Positionen rassistisch sind: „Wir sind keine Rassisten, sondern passionierte Frankophile.“ Auch hier ist ihr der Jubel sicher. Ihre Gegner: MigrantInnen, die Finanzwelt, Sarkozy und die Arbeitgeber, die das Arbeitsrecht unterwandern wollen – und die anderen KandidatInnen für die Wahl: „Ich nenne sie nicht Konkurrenten, denn sie sind meine Gegner.“

Während sie spricht, wird es immer heißer im Saal und die Atmosphäre unter ihren AnhängerInnen immer euphorischer. Denn sie will schaffen, was ihrem Vater vor fast zehn Jahren gelungen ist: In die Stichwahl der Präsidentschaftswahl zu kommen. Die Umfragen widersprechen dem zwar dieses Mal, doch das war im Jahr 2002 auch der Fall – Grund genug also für Marine Le Pen und ihre AnhängerInnen, noch an die große Überraschung zu glauben. Ob sie gelingt, wird sich am Sonntag zeigen, sicher aber ist, dass mit dem Front National nun wieder zu rechnen ist. Gerade unter den jungen WählerInnen findet der Front National viel Zustimmung.

Die Wahlkampfveranstaltung endet und aus dem Zénith strömen begeisterte AnhängerInnen. Wie die anderen AnhängerInnen, die diese Woche noch aus anderen Sälen strömen werden, haben auch sie sich noch eine letzte Motivationsspritze für den verbleibenden Wahlkampf geholt. Noch in der U-Bahn sind „Marine, Présidente“-Sprechchören zu hören, eine Frau mit Kopftuch erntet feindselige Blicke und als sie wenige Stationen später mit ihrem Mann aussteigt, wirkt es mehr wie eine Flucht. (Dieser Artikel erschien auch auf www.paroli-magazin.at)