Ach, irgendwie mag ich Interviews mit Schriftstellern. Ich weiß auch nicht, warum genau, denn so viel was anderes als etwa ein Politikwissenschafter erzählen sie auch nicht. Vermutlich macht es deshalb so einen Spaß, weil ich gerne mit Promis rede ;-) .
Gestern stand der Iran auf dem Programm, und weil es eine Initiative gibt, die sich gegen den Iran-Deal der OMV einsetzt, und weil da Leon de Winter dabei ist, konnte ich doch glatt ein Interview machen mit ihm. Sehr interessant! „Geheimdienst will Regierung keinen Grund für einen Angriff liefern“
Leon de Winter zählt neben Elfriede Jelinek, Robert Schindel, Gerhard Haderer, Lotte Tobisch oder Alfred Dorfer zu den prominenten Unterstützern von „Stop the bomb“, einer Initiative, die sich gegen den Iran-Deal der OMV einsetzt. Der niederländische Schriftsteller glaubt, dass der Iran nach Atomwaffen strebt, US-Geheimdienstbericht hin oder her. Im Interview mit derStandard.at erklärt er, warum die nicht nur die OMV keinen Handel mit dem Regime in Teheran führen sollte. Das Gespräch führte Sonja Fercher.
derStandard.at: Die OMV ist nur eine Firma, die mit dem Iran Handel zu treiben beabsichtigt, immerhin ist die EU der größte Handelspartner des Iran. Warum konzentriert sich die Initiative auf eine Firma?
Leon de Winter: Das ist vollkommen richtig, es ist niemals gerechtfertigt, eine einzelne Firma zum Buhmann zu machen. Es gibt jede Menge Firmen, vor allem aus Deutschland, die Handel mit dem Iran treiben. Ich denke, man sollte dies als Teil einer viel größeren Kampagne sehen. Irgendwo muss man schließlich anfangen.
derStandard.at: Wirtschaftsminister Martin Bartenstein hat erst kürzlich erklärt, die Speisung der Nabucco-Pipeline mit iranischem Gas sei ein „no go“. Ist diese Initiative dann überhaupt nötig?
Leon de Winter: Ja, denn wir haben es mit einem Regime zu tun, das für seine eigene Bevölkerung ein Horror ist. Wenn wir mit der Initiative dazu beitragen können, es zu schwächen, dann finde ich, dass wir das tun sollten.
derStandard.at: Laut dem nun veröffentlichten US-Geheimdienstbericht hat der Iran den Bau von Atombomben bereits im Jahr 2003 eingestellt. Besteht überhaupt eine unmittelbare Bedrohung?
de Winter: Ja. Noch vor zwei Jahren erklärten eben jene Leute, die diesen Bericht geschrieben haben, der Iran sei „wild entschlossen, Atomwaffen zu produzieren.“ Das Problem mit diesem Bericht ist, dass sich hier die Schwäche der amerikanischen Geheimdienste offenbart. Das ist wirklich beängstigend. Die Geheimdienst-Community ist paralysiert, weil sie nicht die geringste Ahnung hat, was los ist. Wie einst Donald Rumsfeld sagte: Am schlimmsten ist es, wenn wir nicht wissen, was wir nicht wissen. Vermutlich will der Geheimdienst der derzeitigen Regierung deshalb keine Argumente für einen Angriff liefern.
Aber es ist das Kerngeschäft des Regimes in Teheran, diese Art von Waffen zu entwickeln. Iranische Politik ohne dem Traum von der Atomwaffe wäre paradox, er ist essentiell für das aktuelle Regime.
derStandard.at: Wenn selbst die US-Geheimdienste nichts wissen, was wollen dann Sie wissen?
de Winter: Natürlich weiß auch ich nichts Genaues. Ich kann nur aus dem Verhalten des Regimes meine Schlüsse ziehen: Die Rhetorik ist bekannt, auch wie es mit ihren eigenen Minderheiten umgeht und wie es Vertreter der EU sowie der IAEO behandelt.
Wir wissen, dass sie lügen und betrügen. Zudem ist der Iran kein normales Regime, es ist Teil der politischen Kultur, alles zu tun, um uns an der Nase herumzuführen. Das sind die Fakten, die wir haben, und die sind besorgniserregend. Natürlich weiß ich nichts Genaues, niemand weiß etwas, aber genau das ist das Problem: Warum wissen wir nichts? Weil der Iran etwas versteckt.
derStandard.at: Das erinnert sehr an die Argumente vor dem Irak-Krieg, nach dem sich die Massenvernichtungswaffen als Hirngespinst entpuppt haben. Könnte es sein, dass auch der Iran nur eine Show abzieht?
de Winter: Ja, aber auch damals wussten wir nur, dass sich Saddam Hussein so verhielt, als habe er Massenvernichtungswaffen. Er legte nicht den geringsten Beweis vor, dass die Vorwürfe falsch waren. Er trickste und warf schließlich auch noch die UNO-Waffeninspektoren aus dem Land. Bis heute denke ich, dass die Welt ohne Saddam Hussein nicht schlechter geworden ist.
derStandard.at: In dem Text der Initiative wird ein direkter Vergleich zwischen dem Iran und dem NS-Regime gezogen. Läuft man damit nicht Gefahr, die Dimension des NS-Regimes zu verharmlosen?
de Winter: Bis zu einem gewissen Grad ist das sicherlich richtig. Zugleich verwenden Präsident Mahmoud Ahmadinejad und andere Repräsentanten der iranischen Regierung die gleiche Rhetorik wie die Nazis in den 30er Jahren.
Im tatsächlichen Verhalten gibt es aber immer noch enorme Unterschiede. Das könnte sich jedoch jederzeit ändern, denn im Moment ist der Iran in einer relativ schwachen Position. Das könnte aber anders aussehen, wenn er die Waffen bekommt, von denen er träumt.
Aber natürlich, man sollte immer vorsichtig sein und nicht die Dimensionen der 30er und 40er Jahre aus dem Auge verlieren.
derStandard.at: Im Text der Initiative „Stop the bomb“ ist auch von Vernichtungsphantasien Ahmadinejads die Rede. Dem wird immer wieder entgegengehalten, dass seine Aussagen zu Israel unkorrekt übersetzt worden seien…
de Winter: Das ist nicht richtig. Mein guter Freund Afshin Ellian – ein Iraner, der an der Universität Leiden lehrt – hat den Text übersetzt, weil er sich nicht auf die Übersetzung eines anderen verlassen wollte und es besteht kein Zweifel daran, dass es sich nicht um eine verzerrte Übersetzung handelt.
Man muss das aber auch den Rahmen beachten, in dem Ahmadinejad seine Aussagen getätigt hat, nämlich in der geopolitischen Arena des Nahen Ostens. Hier geht es darum, dass sich das iranische Regime seinen Platz sichern und seine Macht auszudehnen will, denn es ist sehr ehrgeizig. In Israel sieht der Iran einen Todfeind und findet, dass der Nahe Osten zu klein ist für den Iran und Israel. (Sonja Fercher, derStandard.at, 5.12.2007)
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