„Hier wird es nicht wirklich eine Überraschung geben“, meint ein Vater, der mit seiner Tochter aus dem Wahllokal in der rue de Tanger kommt. Denn die Gegend im Norden von Paris ist traditionell links. Es gibt es zwei Wahlkreise, wobei einer von ihnen sowohl Teile des 18e arrondissement umfasst. Letzerer hat die Nummer 17 und in ihm befindet sich auch das Wahllokal in der rue de Tanger. Hier hat der linke Kandidat Daniel Vaillant schon im ersten Wahlgang die Mehrheit errungen, wenn auch nicht die absolute: Er kam auf 46,11 Prozent, seine Gegenkandidatin Roxane Decorte von der UMP musste sich mit 18,29 Prozent der Stimmen zufrieden geben.
Dass der Ausgang der Wahl hier schon erwartbar ist, könnte auch einer der Gründe für die am frühen Nachmittag noch niedrige Wahlbeteiligung sein. Ein Wahlbeisitzer lehnt sich aus einem kleinen Fenster: „Können Sie uns nicht noch ein paar Wähler herein holen?“, fragt Daniel Keller lächelnd. Insgesamt ist die Wahlbeteiligung zu Mittag im Vergleich zum ersten Wahlgang leicht angestiegen. „Hier nicht“, meint der Wahlbeisitzer über sein Wahllokal und über seine Stirn legen sich leichte Sorgenfalten. „Aber vielleicht kommen die Leute ja später noch.“
Eine Frau kommt herein, ihre kleine Tochter an der Hand. Auf die Frage, ob ihr im Wahlkampf ein Thema gefehlt hat, antwortet sie: „Mir wurde zu wenig über das Thema Wohnen gesprochen. Das Problem lastet am meisten auf unseren Schultern.“
Sukru Munoglu ist gemeinsam mit seiner Freundin Mervé Ozdemirkiran wählen gekommen, beide sind aus der Türkei, aber nur Munoglu konnte heute seine Stimme abgeben. Er lebt seit 30 Jahren im Bezirk. Auf die Frage, welches Thema ihm im Wahlkampf gefehlt hat, muss man nicht lange auf eine Antwort warten: Das Zusammenleben im Arrondissement. „Ich lebe gerne hier, aber es fehlt die Solidarität zwischen den Bewohnern, außerdem sind viele Gebäude heruntergekommen und die Straßen schmutzig.“ Seiner Meinung nach braucht es viel mehr qualifiziertes Personal, das sich um die Jugendlichen kümmert, die auf der Straße rumlungern. „Es gibt Gruppen von Zehnjährigen, die am Abend noch auf der Straße sind und die Gegend unsicher machen“, erzählt er. „Das ist das Thema, mit dem sich die Lokalpolitiker mehr beschäftigen müssten. Wenn man sich zu Hause nicht wohl findet, wie soll man zur Ruhe finden und sich erholen?“ Nichts desto trotz wohnt er gerne im Bezirk, doch es müsse noch viel mehr gemacht werden.
Eine Mittdreißigerin sieht das anders: Ja, es gebe in der Gegend Probleme, vor allem mit Crack. Doch sie fühle sich wohl hier. Über den vorhergesagten Wahlerfolg der Linken freut sie sich: „Die Sarkozy-Jahre waren hart.“ Vor allem wie die alte Regierung mit dem Thema Integration umgegangen ist, stört sie: „Das ist nicht das Frankreich, wie ich es mir vorstelle.“
„Was? Ich gebe hier ein Interview? Wie toll!“, meint eine ältere Dame lächelnd. Doch sie antwortet zunächst nur zögerlich: „Ich bin ja keine Expertin“, meint sie. Doch dann nimmt sie doch Stellung: „Ich mache mir große Sorgen“, sagt sie. „Wegen der Krise, aber auch insgesamt“, sagt sie. Dass dem PS in den letzten Umfragen vor der Wahl sogar eine absolute Mehrheit vorhergesagt wurde, davon ist sie alles andere als begeistert: „Ich finde, es sollte ein Gleichgewicht geben. Es ist nicht gut, wenn eine Partei alle Macht hat“, meint sie. „Was? Dich befragen sie und mich nicht, und nur weil ich schon am Vormittag gewählt habe“, protestiert ihr Sohn, der am Ende des Gesprächs dazu stößt. „Nein, ich bin diejenige, die heute Glück gehabt hat“, interveniert sie, als ich anbiete, auch mit dem Sohn zu sprechen. Frühlich lachend verabschieden sie sich.
„Ich finde, der Wahlkampf war viel zu kurz und es gab viel zu viele Kandidaten. Außerdem wurde viel zu wenig informiert“, sagt Soukoun Agueye. Er hofft, dass die Linke nun auch im Parlament die Mehrheit bekommt: „Es ist wichtig, dass sie nun die Gelegenheit bekommen, ihre Versprechen nun auch in die Tat umsetzen. Von einer Cohabitation, von der die konservative UMP träumt, hält er absolut nichts. „Wir werden sehen, wie gut die neue Regierung ihre Sache macht. Wenn sie sie nicht gut machen, haben wir ja in fünf Jahren die Gelegenheit, sie abzuwählen.“
Fotos: www.sebastianphilipp.com
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