„A tale of two worlds“: So lautet der Untertitel des Buchs „Kandahar Cockney“ des britischen Journalisten und Autors James Fergusson. Und so einfach wird allzu oft die Lebensrealität von MigrantInnen beschrieben: Sie stehen zwischen zwei Welten und müssen sich am Ende dann doch für eine entscheiden – und das soll aus westeuropäischer Sicht jene des Aufnahmelands sein, so sie denn bleiben wollen. Doch der Untertitel ist trügerisch, denn nur oberflächlich geht es in dem Buch allein um die zwei Länder Großbritannien und Afghanistan, zwischen denen das Geschehen immer wieder hin- und herspringt, oder um einen Briten und Afghanen in ihren festgeschriebenen Rollen.
Hauptpersonen des Buches sind Fergusson selbst, der als Journalist im Jahr 1997 in Afghanistan war, um über den Bürgerkrieg zu berichten. Dort lernt er die zweite Hauptperson kennen, den Afghanen Mir. Dieser hatte in Afghanistan als Übersetzer für ihn gearbeitet. Als Mir im Zuge dieser Arbeit selbst in Gefahr gerät, Opfer politischer Verfolgung zu werden, beschließt Fergusson ihm dabei zu helfen, nach London zu kommen, um dort um Asyl anzusuchen.
Was sich anfangs wie ein Buch anlässt, das die beiden Akteure in ihren beiden verschiedenen Welten darstellt, zeigt die Akteure sehr schnell in ihren vielfältigen Rollen in den beiden Welten. Die Handlung beginnt zu einer Zeit, als noch die Taliban um die Vorherrschaft in Afghanistan kämpften und endet ein Jahr nach 9/11. Es eröffnet Einblicke in die wechselhafte Situation in Afghanistan zur damaligen Zeit, in MigrantInnen-Communities in Pakistan wie in London, und nicht zuletzt in die Asylgeschichte in Großbritannien, wo anfangs Flüchtlinge mit fast schon offenen Armen aufgenommen wurden und zuletzt nur noch abgewehrt wurden bzw. werden.
Besonders lesenswert ist das Buch aber eben deshalb, weil Fergusson darin eindrücklich schildert, wie uneindeutig die Rollen der Menschen in Wahrheit sind – der Afghane in Afghanistan als Übersetzer für den Briten im Ausland oder der Brite als Helfer des afghanischen Flüchtlings in London. Ein Beispiel: In London fühlt sich Fergusson als Helfer, der er in vielerlei Hinsicht in Bezug auf das Asylverfahren zweifellos auch ist. Gegen diese Rolle wehrt er sich eigentlich und erkennt schon bald, wie fehl am Platz diese paternalistische Haltung ist. Denn Mir führt Fergusson in die Lebenswelten der MigrantInnen ein: Noch nie zuvor war Fergusson in den Gegenden in London gewesen, in denen viele MigrantInnen leben, zum ersten Mal wandelt er durch einen Markt, wie er ihn aus Pakistan und Afghanistan kennt. Und auch wenn Mir die Unterstützung von Fergusson gut gebrauchen kann, so geht er bald im Rahmen der afghanischen Community in London seine eigenen Wege geht – nicht ohne Ambivalenzen, aber das ist ja, wie gesagt, der Kern des Buchs. Denn umgekehrt führt Fergusson auch an, wie heuchlerisch und vorurteilsbeladen das Asylwesen in Großbritannien bisweilen ist.
Fergusson beschreibt auf wunderbare Art und Weise die mannigfaltigen Facetten von Migration. Genau deshalb ist das Buch auch heute noch sehr lesenswert, auch wenn sich die Lage in Afghanistan und Großbritannien weiter entwickelt hat. Denn es hat nicht an Aktualität verloren – weder in Bezug auf die ambivalente Situation in Afghanistan noch in Bezug auf Migrations- bzw. in dem Fall vielmehr Asylpolitik in Europa.
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