Wenn zwei Favoriten einer Wahl zeitgleich eine Großkundgebung abhalten, ist es wirklich schwer sich zu entscheiden, wohin man geht – schon gar, wenn der eine der zur Wiederwahl antretende Präsident ist und der andere der Favorit in den Umfragen. Doch da ich Nicolas Sarkoy bereits des Öfteren gesehen habe, entschied ich mich für die Kundgebung seines Herausforders Francois Hollande – nicht ohne Zweifel, denn es ist nun einmal etwas anderes, ob man die Stimmung vor Ort selbst miterlebt oder ob man auf Aufzeichnungen angewiesen ist. Doch ich kann nun einmal nur an einem Ort sein…

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Schon als ich mich der Métro-Station „Château de Vincennes“ näherte, wurde mir klar, dass dort richtig was los sein würde. Denn je näher die U-Bahn dieser Station kam, desto ungemütlicher wurde es, und desto klarer wurde: All diese Fahrgäste fahren zur Kundgebung des sozialistischen Kandidaten Francois Hollande. Vor Ort bestätigte sich dieses Bild: Ich hatte die Wahl, mich noch weiter nach vorne zu kämpfen – oder aber die Stimmung an jenem Ort einzufangen, zu dem ich mich bereits vorgekämpft hatte. Ich entschied mich für letzteres.

Links neben mir stand ein Ehepaar mit Hollande-Fahnen in der Hand, gleich daneben ein Mann mit der Fahne der Europäischen Sozialistischen Partei in der Hand, rechts neben mir dominierten die Farben des Regenbogens. Um mich herum ein immer enger werdendes Meer an Menschen, mit oder ohne Fahnen. „Convoi exeptionnel“, rief ein Mann neben mir, auf dass der Weg für eine Gruppe freigemacht werde, die ein großes Transparent trug. „Wir sind aus La Roche sur Yon hergekommen“, sagte einer von ihnen im Vorbeigehen, und ergänzte: „Wir sind de Villiers losgeworden. Wir werden Sarkozy loswerden!“ Philippe De Villiers ist ein konservativer Politiker aus dem im Westen des Landes gelegenen Départements Vendée, dessen Hauptstadt La Roche sur Yon ist.

„Francois, Président“ oder „On va gagner“: Mit großem Enthusiasmus wurden diese Sprüche immer wieder intoniert, wenn die Musik oder die Sprecher Pause machten. „Sarkozy hat gesagt, er würde eine Welle spüren. Nun, lasst ihn diese Welle spüren“, rief eine Sprecherin – und auf ging´s: Von vorne bewegte sich die Welle nach hinten. „Wo ist sie jetzt? Da ganz hinten. Kommt, lasst sie wieder zu uns zurückkommen“, rief sie. Und schon ging es wieder retour.

Als der Pariser Bürgermeister Betrtrand Delanoe das Wort ergriff, stieg die Stimmung – er läutete den Auftritt von Hollande ein. Und dann erklomm ein kämpferischer Francois Hollande die Bühne. Gerade zu Beginn ritt er immer wieder Seitenhiebe auf Sarkozy und wies ebensolche zurück. Sarkozy wirft ihm vor nicht in Fukushima gewesen zu sein und also keine Ahnung zu haben, wenn er vom Atomausstieg spricht? Nun, Sarkozy war selbst nicht dort. Sarkozy will wieder mehr Geld locker machen? Wie gut, dass er nicht mehr lang im Amt ist. Sarkozy will vieles anders machen? Wozu ihm ein neues Mandat gewähren, wo er doch all diese Versprechungen schon längst hätte einösen können?

Hollande bestätigte einmal mehr, dass für ihn die Jugend im Vordergrund steht – und als ihm der Wind genau zu dem Zeitpunkt ins Mikro pfiff, meinte er: „Hören Sie sie den Atem der Jugend! Sie ist hungrig Es folgte eine Wiederholung der meisten Wahlversprechen, unter begeistertem Applaus des Publikums bekräftigte er, den Fiskalpakt unter dem Gesichtspunkt des Wachstums neu verhandeln zu wollen. Und er bekräftigte die Ankündigung, jede Maßnahme, die ihm zur Entscheidung vorgelegt würde, nach dem Maßstab: „Ist sie gerecht?“ beurteilen zu wollen.

Seine Konzeption des Präsidentenamtes: Die Gesellschaft in Bewegung zu setzen. Um zu illustrieren, was das bedeutet, beruft er sich auf die historischen Vorbilder des PS wie Mitterrand oder Jospin. „Ich habe vom französischen Traum gesprochen, dieser besteht unter anderem darin, dass es der nächsten Generation besser geht als der derzeitigen.“ Und am Ende folgte der angesichts der Umfragewerte nachvollziehbare Aufruf, schon im ersten Wahlgang für Hollande zu stimmen und vor allem: Wählen zu gehen.

Kandidat ab. Zurück blieb eine euphorisierte Menschenmenge, die weiterhin „On va gagner“ oder „Francois, Président“ skandierte – und sich langsam auf den mühsamen Rückweg machte. Denn das Château de Vincenne liegt nun nicht gerade im Zentrum, gerade einmal eine Métro fährt dort direkt vorbei – witzigerweise verbindet sie Vincennes mit dem Place de la Concorde, wo Amtsinhaber Sarkozy seine AnhängerInnen versammelte. Ja, der Zugang zur Métro war verstopft und so wartete ich mit einigen Menschen auf der Straße – auf der dann noch der Pariser Bürgermeister Delanoe und Ex-Premier Lionel Jospin winkend vorbeifuhren. „Hollande ist schon weg, der war im ersten Auto“, meinte eine Passantin amüsiert.

Links zu ausführlichen Berichten über die Reden von Hollande und Sarkozy:

Standard: „Wahlkampffinish: Einer wird gewinnen“

Kurier: „Frankreich: Appell an schweigende Mehrheit“

NZZ: „Sarkozys Appell an die schweigende Mehrheit“

Le Monde: „Sarkozy et Hollande affirment deux visions du pouvoir“

„A Vincennes, Hollande met en garde contre l’abstention et les „votes sans lendemain“

„A la Concorde, Sarkozy appelle ses partisans à „un choix historique“

„Pour Mélenchon, la dernière semaine de campagne „va compter autant qu’un mois“

Le Figaro: „L’appel d’Hollande contre l’abstention et la dispersion“

„L’appel à la nation de Nicolas Sarkozy“