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derStandard.at: Es gibt Experten, die davon ausgehen, dass die Hisbollah die Zeit seit der Waffenruhe genutzt hat, um wieder aufzurüsten. Wenn das stimmt, würde dies nicht eine ziemliche Niederlage für die UNO-Truppen (UNIFIL) dort bedeuten?
Victor Mauer: Gerade in den zurückliegenden Monaten ist eine verstärkte Infiltration von Waffen und ausländischen Kämpfern in den Libanon zu beobachten. Im Kontext der außerordentlich fragilen Lage sowohl im Libanon als auch in der gesamten Region bedeutet das eine alarmierende Entwicklung.
Es hat sich außerdem gezeigt, dass die Befürchtungen vieler eingetreten sind: Das Mandat der UNO-Resolution 1701 ist in der Praxis schwach, weil doppeldeutig und dehnbar. Die vorgesehenen politischen und militärischen Strukturen konnten nicht etabliert werden. Zudem war die Aufstockung der UNIFIL nicht mit einem Mandat unter Kapitel VII der UNO-Charta verbunden, das eine aktive Entwaffnung der Hisbollah durch die UNIFIL überhaupt erst ermöglicht hätte. Die libanesische Regierung wiederum ist zu schwach, um sämtliche bewaffnete Gruppen im Libanon vollständig zu entwaffnen.
derStandard.at: In Paris findet eine Allparteienkonferenz statt, glauben Sie, dass diese eine Annäherung der Parteien bringen könnte? Bzw. was sehen sie als die größten Hürden dabei an?
Mauer: Zunächst ist es wichtig, dass die Gespräche überhaupt stattfinden. Ein erster Anlauf war ja nach dem Anschlag vom 12. Juni, bei dem der antisyrische Parlamentarier Walid Eido sein Leben verlor, gescheitert. Der Libanon steht de facto am Abgrund zum Bürgerkrieg.
Die Frage ist, ob sich alle 14 politischen Gruppen, die in Paris zusammentreffen, dieser Situation bewusst sind bzw. ob sie sich von einem Bürgerkrieg mehr erhoffen als von einer gesamtpolitischen Lösung, die von allen Kompromisse verlangen wird.
Neben den libanesischen Gruppen spielen die zahlreichen externen Akteure, die auf den Konflikt Einfluss ausüben, eine ganz entscheidende Rolle. Sofern sie sich von einer Eskalation der Situation etwas versprechen, ist die Pariser Konferenz zum Scheitern verurteilt.
derStandard.at: Premier Siniora hat beim Hariri-Tribunal überraschend Entgegenkommen signalisiert, warum auf einmal?
Mauer: Siniora befindet sich in einer relativ schwachen Position. Ob er nur taktiert und damit auf Zeit spielt oder ob es sich zugleich um eine Kurskorrektur handelt, die auf die Bildung einer Einheitsregierung hinausläuft, um das Abgleiten in den Bürgerkrieg zu verhindern, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen.
In der Auseinandersetzung um das Tribunal spiegeln sich die divergierenden Interessen der innerstaatlichen und externen Akteur. Dabei lehnt manche Gruppierung das Tribunal gar nicht per se ab, sondern verspricht sich aus einer taktisch motivierten ablehnenden Haltung Gewinne für die eigene Stellung.
derStandard.at: Die zwei israelischen Geiseln sind nach wie vor nicht freigelassen, wäre dies nicht ein wichtiges Signal an Israel?
Mauer: Natürlich wäre die Freilassung der beiden Soldaten ein wichtiges Signal. Allerdings wird sich die Hisbollah, die sich aus ihrer Sicht in einer weit stärkeren Situation als noch vor dem Sommerkrieg befindet, diese Trümpfe nicht ohne Gegenleistung aus der Hand nehmen lassen.
derStandard.at: Scheint die Kritik an der Teilnahme der Hisbollah an der Konferenz in Paris vor diesem Hintergrund nicht berechtigt?
Mauer: Man mag die Teilnahme der Hisbollah an der Pariser Allparteienkonferenz mit guten Gründen skeptisch beurteilen, ja sogar ablehnen. Allerdings zeigen die jüngsten Entwicklungen, dass eine Isolationsstrategie gegenüber der Hisbollah keinerlei Erfolg verspricht.
Die Hisbollah ist nicht nur die stärkste militärische Kraft im Libanon, sondern ein politischer Faktor von großem Gewicht. Das Kalkül Israels, der Zorn weiter Teile des Landes über die Zerstörung der Infrastruktur werde sich gegen die Hisbollah richten, ist nicht aufgegangen.
Die Einbeziehung der Hisbollah reflektiert also nicht mehr und nicht weniger als die Anerkennung der normativen Kraft des Faktischen.
derStandard.at: Wie bewerten Sie das Gesprächsangebot Israels an Syrien, auch ein Versuch, mit dem Libanon zu einer Lösung zu kommen?
Mauer: Zunächst ist das keine grundsätzlich neue Entwicklung. Es hat bereits seit einiger Zeit israelische Bemühungen gegeben, mit Syrien ins Gespräch zu kommen. Syriens Einfluss im Libanon hat seit dem letzten Sommer wieder zugenommen. Israel muss deshalb ein Interesse daran haben, die syrische Regierung an den Verhandlungstisch zu bringen.
Letztlich geht es um zwei grundlegende Erkenntnisse, die sich langsam Bahn zu brechen scheinen: Erstens führt kein Weg daran vorbei, den Weg der Diplomatie einzuschlagen, weil die Anwendung von Waffengewalt nicht nur nicht zielführend ist, sondern auch zu einer weiteren Eskalation einer Situation führt, die bereits heute einem Pulverfass gleicht. Und zweitens zielt der Ansatz darauf, dass es einer umfassenden regionalen Lösung bedarf. (Sonja Fercher, derStandard.at, 14.7.2007)
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