Die versuchten Anschläge von Glasgow und London ließen einmal mehr Forderungen laut werden, Muslime müssten sich von den Terroristen distanzieren. Im Interview mit derStandard.at erklärt die Guardian-Journalistin Riazat Butt, warum sie sich weigert, dies zu tun, und fordert eine gemeinsame Front gegen Terrorismus. Außerdem spricht sie über ihr Verhältnis zu Religion und Erfahrungen mit Islamophobie, die zwar nicht sie selbst, aber ihr Bruder gemacht hat. (Ein Interview für derStandard.at)

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derStandard.at: Sie haben in ihrer letzten Sendung klar gemacht, dass sie sich weigern, sich von den Anschlägen von Glasgow und London zu distanzieren. Warum?

Riazat Butt: Ich bin so integriert, wie ich eben sein kann, und aus irgendeinem Grund stellen mir Menschen Fragen wie: Warum tust Du nichts dagegen? Aber was erwartet man denn, dass ich dagegen tun soll? Ich kenne diese Menschen nicht, ich verkehre nicht in ihren Kreisen. Warum glaubt man mir denn das nicht?

Würde ich jemanden kennen, der etwas plant, würde ich es sofort der Polizei melden. Nie und nimmer würde ich schweigen, wenn mir so etwas zu Ohren kommt.

derStandard.at: Was müsste Ihrer Meinung nach passieren?

Butt: Es müssen einfach mehr Menschen etwas sagen als nur die moslemische Community, schließlich können sie mit ihren Anschlägen alle treffen. Das Argument „Sie sind Muslime und Du bist Muslimin, also musst Du Verantwortung übernehmen“, das reicht mir nicht, es tut mir leid. Niemand will in Angst leben, ich kenne niemanden, der nicht besorgt ist, dass er der Nächste sein könnte, der in die Luft gesprengt wird, wenn er das nächste Mal mit dem Flugzeug fliegt oder die U-Bahn nimmt.

Ein Beispiel, das vielleicht verständlicher macht, was ich meine: Ich habe in Madrid gelebt, als die baskische Terrororganisation ETA mehrere Anschläge verübt hat. Damals habe ich an einem Friedensmarsch teilgenommen, wo nicht nur baskische Bürger mitgegangen sind, sondern Menschen aus dem Baskenland, Katalonien, Andalusien oder aus welcher Region Spaniens auch immer. Insgesamt protestierten damals zwei Millionen Menschen gegen den Terror.

Das ist das Gleiche, schließlich wurden auch diese Anschläge nicht in meinem Namen verübt. Wir müssen alle auf die Straße gehen und sagen „Genug! Das muss aufhören!“

derStandard.at: Würden Sie sich selbst als religiös bezeichnen?

Butt: Ohhhh (lacht). Ich denke, ich könnte meine Religion mehr praktizieren. Ich habe großen Respekt vor Religionen in dem Sinn, dass ich keine Karikaturen zeichnen oder den Namen des Propheten nicht einfach nur so verwenden würde. Ich möchte nicht bewusst beleidigend sein.

Ganz im Gegenteil, ich habe großen Respekt für Menschen, die ihre Religion praktizieren, besonders dann – wie soll ich das am besten formulieren? –, wenn sie es auf eine Art und Weise tun, die ganz selbstverständlich mit Demokratie und dem westlichen Lebensstil vereinbar ist. Ich kenne viele, die ihre Religion praktizieren und die Regeln beachten, also zum Beispiel ihr Haar bedecken und fünf Mal am Tag beten, die aber zugleich sehr zufrieden damit sind, in einer westlichen Gesellschaft zu leben.

derStandard.at: Ihre Familie kommt aus Pakistan. Waren Sie selbst einmal Opfer von Islamophobie?

Butt: Ich selbst nicht, aber meine Familie. Meine Familie ist sehr traditionell und sehr gläubig. Mein Bruder zum Beispiel trägt einen Vollbart, er ist berufstätig, hat sogar studiert. Nach 7/7 baten ihn meine Eltern sich den Bart doch abzurasieren, weil sie sich Sorgen machten, dass sein Leben dadurch schwieriger werden könnte, dass er aufgehalten und durchsucht werden könnte.

Das ist dann auch tatsächlich passiert. Leider erfüllt er die demographischen Kriterien, nach denen der MI5 sucht. Nach 7/7 konnte er während ungefähr vier Wochen keinen Taxler finden, der ihn mitnehmen wollte. Ebenso konnte er nicht Bus fahren, ohne dass sich Mitreisende von ihm weggesetzt haben. Deshalb hat er sich den Bart dann tatsächlich abrasiert.

Auch meine Schwester, die einen Schleier trägt, hat schlechte Erfahrungen gemacht. Erst vor kurzem war sie in einem Park und hat gerade Enten gefüttert, als ein Polizist sie angesprochen hat, was sie denn da tue. „Ich füttere die Enten“, hat sie darauf etwas perplex geantwortet.

Dass meine Familie damit konfrontiert ist, macht auch mich wütend und lässt mich dazu Stellung nehmen.

Zur Person:
Riazat Butt, selbst aus einer Familie pakistanischer Herkunft, sieht nicht, wie die muslimische Community allein Terroranschläge verhindern könnte.
Sie will sich aus einem einfachen Grund nicht von den verhinderten Anschlägen der vergangenen Woche distanzieren: „Ich habe die Anschläge nicht verübt, ich habe mit diesen Leuten nichts zu tun.“
Vielmehr müssten Menschen über die Grenzen der Religion hinaus aufstehen und sagen: „Genug! Das muss aufhören!“

Links:
Islamophonic – Ein Guardian-Podcast
Guardian: „Muslim, but not guilty“ – Von Riazat Butt
„Islamophonic. As opposed to Islamophobic – it’s the Guardian’s new podcast on all things Muslim.“ Von Riazat Butt