Multikulti sei „absolut gescheitert“, tönt nun die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Damit setzte sie noch eins auf  CSU-Chef Horst Seehofer drauf, der forderte, die Migration von Menschen aus dem „fremden Kulturkreisen“ einzuschränken. Und das kurz nachdem beunruhigende Ergebnisse über rassistische Einstellungen in Deutschland publiziert wurden. Betrachtet man die Diskussion, die die Studienergebnisse ausgelöst hat, muss man zu dem Schluss kommen: Die Welt steht Kopf.

Es wird weiterhin über Multikulti diskutiert, darüber, wo man MigrantInnen zu sachte angefasst hätte und wo sie nun mehr fordern müsse. Unbestritten, dass dies auch zutrifft. Aber müsste man angesichts der Studienergebnisse nicht vielmehr andere ins Zentrum der Diskussion stellen: Jene nämlich, die Zielscheibe dieser Einstellungen sind? Wo sind die Reportagen, in denen MigrantInnen und ihre Erfahrungen mit rassistischen Übergriffen thematisiert werden? Diese nämlich muss man schon fast mit der Lupe suchen. Populär sind vielmehr Problemgeschichten über MigrantInnen, wo diese Defizite hätten, wo sie „hinten nach“ sind und noch „aufzuholen“ hätten.

Einmal mehr wird beklagt, wie blauäugig man lange gewesen sei, wie sehr man „die anderen“ „anders“ habe sein lassen. Damit müsse nun Schluss sein, wird einhellig gefordert. Damit aber macht man jene, die Zielscheibe eben jenes gestiegenen Rassismus sind, genau für diesen Anstieg zumindest indirekt verantwortlich. Überspitzt gesagt lautet die Schlussfolgerung: Würdet Ihr Euch auch richtig bemühen, hätten wir das Problem nicht. Die Reaktion von Regierungssprecher Steffen Seibert: Man müsse angesichts der Ergebnisse die Integrationsbemühungen verstärken. Ja, aber auch jene der Mehrheitsgesellschaft, die akzeptieren muss, dass sie längst in einer multikulturellen Gesellschaft lebt. So sehr Merkel dem auch widerspricht: Es ist geradezu realitätsfremd, das zu leugnen.

Einen anderen, nicht minder einseitigen Zugang fand Tageszeitungs-Journalistin Tissy Bruns im Presseclub. Sie führte die Ergebnisse darauf zurück, dass die Politik die „Alltagserfahrungen der Menschen“ viel zu wenig beachtet habe. Oder zugespitzt: Die Leute haben Angst vor den „Fremden“, und das hat auch seine Gründe. Nichts spricht dagegen, Ängste ernst zu nehmen und zu bearbeiten. Ganz im Gegenteil, sie zu leugnen, bedeutet Menschen nicht ernst zu nehmen. Nur führt die Diskussion so nicht weiter: Genauso könnte man anführen, dass auch die MigrantInnen Angst haben. Angst zum Beispiel um ihre Zukunftschancen, die ihnen andauernd abgesprochen werden. Oder Angst vor Übergriffen.

Nur sollte man nicht den Wettlauf beginnen, wer das eigentliche Opfer ist, sondern muss die Debatte offener führen.  Man darf nicht die ganze Zeit wie gebannt auf eine Gruppe starren und auf Erlösung hoffen, wenn diese sich nur endlich, endlich anpasst. Vielmehr muss man auch klarmachen, dass rassistische Einstellungen einfach nicht akzeptabel sind. Wann nimmt man endlich die Mehrheitsgesellschaft mit in die Verantwortung, die zum Gelingen von Integration auch einen Beitrag leisten muss? Die sich von lang gehegten Hoffnungen verabschieden muss, denn die meisten MigrantInnen werden nicht mehr gehen.

Unbestritten: Es gibt Probleme. Diese aber sind auch auf Versäumnisse der Politik zurückzuführen, die allzu lang nicht realisierte (oder realisieren wollte), dass die Gastarbeiter gekommen sind, um zu bleiben. Dies hatte zur Folge, dass heute viele MigrantInnen schlechte Chancen haben. Also: Es muss endlich Schluss damit sein, Multikulti zu leugnen und Assimilierungsdiskurse als Antwort auf Versäumnisse der letzten Jahrzehnte zu führen. Vielmehr müssen die Chancen in den Vordergrund gerückt werden, auf die sowohl MigrantInnen wie die so genannte Mehrheitsgesellschaft ein Recht haben – und die sie brauchen, um sich selbst und die Gesellschaft nach Vorne zu bringen.