„Die Wahrheit über die Ungleichheit“ titelt das aktuelle profil und löste mit seinem Bericht über angeblich nicht mehr existierende Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen heftige Diskussionen auf facebook und Twitter aus. Die Aussage des Berichts: Es wäre völlig falsch, dass Frauen um 25 Prozent weniger verdienen als Männer. Vielmehr seien es „nur“ noch 12 Prozent, so die beiden Autoren Gernot Bauer und Robert Treichler. Die weit geöffnete Lohnschere sei also ein Mythos.

Wie Karin Strobl, Vorsitzende des Frauennetzwerks Medien, in einem offenen Brief richtig schreibt, ist diese Differenz keineswegs minimal. Immerhin liegt sie mit 12 Prozent noch im zweistelligen Bereich, noch dazu bekommen sie Frauen 14 Mal im Jahr zu spüren. Strobl rechnet vor: „Das bedeutet bei einem Durchschnittseinkommen von rund 2.000 Euro im Monat immerhin 4.200 Euro jedes Jahr weniger.“

„Die Wahrheit“ wollten die Autoren verkünden, beweisen, dass FrauenpolitikerInnen mit falschen Daten hantieren, um ihre politische Agenda voranzutreiben. Was Bauer und Treichler jedoch tun, ist polemisieren. Jene, die sie angreifen, bekommen keine Gelegenheit zu einer Stellungnahme. Jene, die wie die Gleichbehandlungsanwaltschaft seit Jahren in diesem Feld arbeiten, werden nicht nach ihren Erfahrungen befragt oder mit den Zahlen konfrontiert. Fragwürdig scheint auch der Zugang, Betriebsratsvorsitzende zu den Einkommensberichten ihrer Unternehmen zu befragen. Mag sein, dass in den Betrieben alles paletti ist, aber wer die „Wahrheit“ verkünden will, sollte sich nicht auf Aussagen anderer verlassen.

Der Bericht zeigt, wie wichtig es wäre, wenn die Einkommensberichte auch veröffentlicht würden. Zwar kann nun immerhin darauf gehofft werden, dass sie eine innerbetriebliche Diskussion anstoßen. Dennoch ist es völlig unbefriedigend, dass der Kampf um gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit weiterhin in erster Linie den Arbeitnehmerinnen selbst überlassen bleibt.

Abgesehen davon, dass die Behauptung von der „geradezu erreichte“ Gleichberechtigung auf tönernen Füßen steht, werden in dem Bericht noch viel wesentlichere Punkte außer acht gelassen: Es muss eben auch um die Lohnschere von 25 Prozent gehen! Diese kann natürlich durch unterschiedliche Faktoren erklärt werden, die nicht alle am Geschlecht hängen. Bei einigen Faktoren ist dies allerdings sehr wohl der Fall: Etwa dass es nach wie vor in erster Linie Frauen sind, die zum Zweck der Kinderbetreuung aus dem Beruf zumindest zeitweilig aussteigen und deshalb nachher kaum noch an die Karrieren und Gehälter der Männer anknüpfen können. Nur: Warum sollen eigentlich automatisch nur Frauen diesen Karriereknick in Kauf nehmen müssen? Wie wär´s z.B. mit einer verpflichtenden Karenz für Männer? Das bereichert, persönlich wie beruflich, wie Karenzväter immer wieder berichten. Außerdem würde Arbeitgebern damit über kurz oder lang auch das Argument ausgehen, dass sie junge Frauen nicht einstellen können, weil diese ja schwanger werden könnten – auch eine Diskriminierung.

Weitere Fragen in diesem Zusammenhang: Wie schaut´s aus mit den Lücken, die es beim Angebot an Kinderbetreuungsplätzen nach wie vor gibt? Wie sieht es mit der Gleichberechtigung der Männer im Haushalt aus? Und wie mit der unbezahlten Arbeit, die Frauen leisten, weil etwa soziale Dienstleistungen im Pflegebereich fehlen?

Würde nun breit über diese Themen rund um die Gleichstellung der Geschlechter diskutiert werden, hätte die Polemik des profil immerhin diesen Zweck erfüllt. Eine breite Debatte ist dringend nötig, und zwar nicht, weil Frauen Opfer sind. Sie ist dringend nötig, weil Frauen es verdienen, gleich behandelt zu werden und gleiche Chancen am Arbeitsmarkt zu haben – und weil es hier noch einiges zu tun gibt.

Links:

Schwerpunkt zum Thema auf dieStandard.at

Hintergrund zum Equal Pay Day auf dieStandard.at, erstellt im Oktober 2011

Reaktion von Gleichbehandlungsanwältin Ingrid Nikolay-Leitner auf dieStandard.at

Kurier: „Niedrigere Frauengagen: Österreich ist EU-Schlusslicht“

Studie zum Gender Pay Gap in Österreich

Kommentar von Patricia Haller im Kurier, bereitgestellt von Karin Strobl auf Twitter