Björn Seibert, Verfasser einer Tschad-Studie für das Massachusetts Institute of Technology, warnt vor einer Destabilisierung der Region. Einige EU-Staaten könnten zugesagte Truppen nicht mehr bereitstellen, erfuhr Sonja Fercher. (Ein Interview für DER STANDARD)
STANDARD: Sie haben in Ihrer Studie die in der EU-Mission vorgesehene Truppenstärke als zu klein kritisiert. Wie schätzen Sie die Lage nun ein?
Seibert: Eine im Wesentlichen aus drei Bataillonen und einer Quick Reaction Force bestehenden Truppe soll eine etwa viermal so große Fläche wie Österreich sichern: Angesichts der Situation scheint die geplante Truppenstärke noch weniger der Situation vor Ort angemessen.
STANDARD: Sollte die EU die Mission nicht gleich auf bessere Beine stellen?
Seibert: Ob sich aufgrund der veränderten Lage Mitgliedsstaaten bereiterklären werden, weitere Truppen und Material zur Verfügung zu stellen, erscheint derzeit unwahrscheinlich, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Involvierung der EU-Truppen in den innertschadischen Konflikt wahrscheinlicher geworden ist. Im Gegenteil, es erscheint wahrscheinlicher, dass einige Staaten bereits zugesagte Truppen nicht mehr bereitstellen werden.
STANDARD: Sollte die EU das Ganze lieber überhaupt abblasen?Seibert: Die Auseinandersetzungen werden eine weitere Destabilisierung des Tschad und dessen Nachbarländer – insbesondere der Zentralafrikanischen Republik – zur Folge haben. Dies könnte dazu führen, dass die Mitgliedsstaaten nun nicht mehr bereit sind, die bereits zugesagten Truppen und/oder Ausrüstung für eine gefährliche, teure und unpopuläre Mission bereitzustellen.
STANDARD: Wäre es dann nicht umso wichtiger, dass sich die EU engagiert?
Seibert: Eine Destabilisierung der Region wird zur Folge haben, dass sich die Lage der Zivilbevölkerung im östlichen Tschad, insbesondere der sudanesischen Flüchtlinge und der Binnenflüchtlinge, merklich verschlechtert. Vor diesem Hintergrund könnten sich die Mitgliedsstaaten entscheiden, trotz der verschlechterten Sicherheitslage die Mission weiterhin durchzuführen.
STANDARD: Sie haben davor gewarnt, dass die EU-Truppe wegen der Teilnahme Frankreichs nicht als neutral angesehen werden könnte.
Seibert: In Paris scheint man zu der Ansicht gekommen zu sein, dass eine Machtübernahme durch die Rebellen die schlechtere Alternative sei. Folglich hat sich Paris für eine stärkere Parteinahme zugunsten von Präsident Déby durchgerungen. Dies jedoch führt zwangsläufig zu einer Parteistellung der Eufor.
STANDARD: Der tschadische Außenminister Anad Allam-Mi hat dem Nachbarland Sudan vorgeworfen, hinter der Offensive zu stecken, um den Einsatz der geplanten EU-Truppe zum Schutz der Darfur-Flüchtlinge zu sabotieren. Halten Sie das für wahrscheinlich?
Seibert: Khartums Interesse an einer Destabilisierung von Débys Regime ist als Vergeltung für dessen Unterstützung der Anti-Khartum-Rebellen in Darfur zu sehen. Insoweit scheint wahrscheinlich, dass Khartum eine aktive Rolle bei der Offensive gespielt hat. Gleichzeitig sind die Vorwürfe aus N’Djamena mit Vorsicht zu genießen: Präsident Déby hat in der Vergangenheit immer wieder versucht, die innerstaatliche Opposition zu diskreditieren, indem er sie als sudanesische Söldner bezeichnet hat. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.2.2008)
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