Vergangene Woche wurde eine Studie veröffentlicht, die sich mit dem Einsatz der EU im Tschad und Zentralafrika auseinander setzte. Diese Woche habe ich ein Interview mit dem Studienautor, Björn Seibert, gemacht, sehr interessant, was er so zu sagen hatte:

„Einsatz wird länger als ein Jahr dauern“
Björn Seibert, Autor der US-Studie über die Tschad-Mission, im derStandard.at- Interview: Wo sind die EU-Battlegroups? (Interview für derStandard.at)


Zu gering dimensioniert und vermutlich logistisch aufwändiger als bisher bekannt: So lauten die wesentlichen Kritikpunkte einer Studie des renommierten „Massachussetts Institute of Technology“ am geplanten EU-Einsatz im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik. Im Interview mit derStandard.at erklärt Studienautor Björn Seibert, warum er nicht glaubt, dass der EU-Einsatz nur ein Jahr dauern wird und warum er findet, dass er grundsätzlichere Fragen über das Konzept der EU-Battlegroups aufwirft. Die Fragen stellte Sonja Fercher.

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derStandard.at: Würden Sie der EU angesichts der Ergebnisse Ihrer Studie vor einem Einsatz grundsätzlich abraten?

Björn Seibert: Die Mission ist eine politische Entscheidung, die man befürworten oder ablehnen kann. Wenn sich die EU aber dafür entschieden hat sie durchzuführen, dann muss sie auch bereit sein, ein angemessen großes und entsprechend ausgerüstetes Kontingent bereitzustellen. Und zwar eines, das in der Lage ist, die angestrebten Ziele der Mission auch wirklich zu erreichen.

derStandard.at: Unter den gegebenen Umständen ist sie das nicht?

Seibert: Die Truppen, die in den Tschad Einsatz gehen werden – darunter auch die des österreichischen Bundesheeres – gehören zu den besten Streitkräften der Welt. Sie haben sowohl das Training als auch die Erfahrung, um schwierige Operationen in Afrika durchzuführen. Im direkten Gefecht sind sie den Rebellen und Milizen deutlich überlegen.

Allerdings warne ich in der Studie davor, dass es sehr schwierig sein wird, das Mandat der Sicherheitsrats (Resolution 1778) zu erfüllen. Das Mandat fordert den Schutz der gefährdeten Zivilbevölkerung im Osten des Tschads und im Nordosten der Zentralafrikanischen Republik. Seit kurzen scheinen jedoch europäische Politiker darauf zu bestehen, dass das Mandat nur den Schutz von Flüchtlingen und Vertriebenen beinhaltet. Ein solches verengendes Mandat wäre allerdings problematisch.

derStandard.at: Inwiefern?

Seibert: Weil es die Folgen nicht mit einbezieht, die eine verstärkte Sicherheit in den Flüchtlings- und Vertriebenlager haben könnte. Zum einen würden die Rebellen und Milizen dann wahrscheinlich Angriffe auf die restliche Bevölkerung im Einsatzgebiet verstärken und somit ihre Lage noch weiter verschlimmern. Zum anderen würde dies wahrscheinlich zu einer verstärken Fluchtbewegung bzw. Vertreibung der restlichen Bevölkerung aus dem östlichen Tschad und möglicherweise aus Darfur in die von der EU gesicherten Lager führen.

derStandard.at: Lassen sich diese beiden Ziele überhaupt miteinander vereinbaren: Sicherung der Hilfslieferungen und Schutz der Flüchtlinge?

Seibert: Ja. In der Vergangenheit gab es eine Reihe von Missionen, die mehrere Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen hatten. Es gilt jedoch zu bedenken: Je mehr Aufgaben die Mission erfüllen soll, desto höher werden die Anforderung an die Mission – sowohl in Bezug auf Stärke als auch auf Ausrüstung.

Dies ist insbesondere in einem – wie in diesem Fall – sehr großen Einsatzgebiet wichtig. Es sollte nicht vergessen werden, dass das Einsatzgebiet der EUFOR mit ca. 200.000 km2 fast 40 Mal so groß ist wie das Einsatzgebiet der französischen Operation Turquoise in Ruanda (5.180 km2). Folglich ist eine relative große und mobile Einsatztruppe notwendig. Aus diesem Grund bewertet die Studie die derzeitigen Stärke und Ausrüstung von EUFOR – insbesondere die geringe Zahl der Hubschrauber – als wahrscheinlich unzureichend.

derStandard.at: Sie warnen davor, dass die EU-Truppen als Feinde wahrgenommen werden könnten. Lässt sich das überhaupt verhindern?

Seibert: Die verschiedenen tschadischen Rebellen werden die EU-Truppen selbst dann nicht als neutral ansehen, wenn die französischen Soldaten – die als Teil von Operation Epervier im Tschad stationiert sind und Präsident Deby im Kampf gegen die Rebellen unterstützen – nicht in die EUFOR Tschad/RCA integriert werden. Deutlich wurde dies durch die Kämpfe der vergangenen Wochen und die anschließenden Erklärungen der Rebellen.

Dies muss jedoch nicht zwangsläufig dazu führen, dass die Rebellen eine bewaffnete Auseinandersetzung mit den EU-Truppen suchen. Allerdings muss sich EUFOR aufgrund der Instabilität der Situation auf diese Möglichkeit einstellen.

derStandard.at: Sie bezweifeln, dass es realistisch ist, dass die EU nach einem Jahr ihre Aufgaben an eine UNO-Mission übergeben kann bzw. dass die UNO bis dahin eine Nachfolgemission aufgestellt hat. Muss sich die EU auf einen längeren Einsatz einstellen?

Seibert: Ja. Es gibt eine Reihe von Gründen, warum ich davon ausgehe, dass der Einsatz länger als ein Jahr dauern wird. Erstens: der derzeitige Konflikt wird nicht innerhalb des nächsten Jahres beendet werden, da die dem Konflikt zugrunde liegenden politischen Gründe nicht von der EUFOR gelöst werden können.

Zweitens: aufgrund der logistischen Schwierigkeiten, die die Studie detailliert darlegt, erfordert eine solche Mission sehr gut ausgebildete und ausgerüstete Truppen, über die nur sehr wenige Staaten verfügen. Drittens: da derzeit über 70.000 Soldaten an UN-Missionen teilnehmen, sind die Chancen sehr gering, dass genügend Staaten ihre am besten ausgebildeten und ausgerüsteten Soldaten in einen teueren, riskanten und möglicherweise zeitlich unbegrenzten Einsatz nach Zentralafrika schicken. Folglich sind die Chancen, dass die EUFOR innerhalb eines Jahres durch eine geeignet Nachfolge Mission abgelöst wird sehr gering.

derStandard.at: Kann die Mission überhaupt erfolgreich sein, ohne dass der Sudan einbezogen wird, der ja eine wesentliche Konfliktpartei ist?

Seibert: Der Sudan ist in der Tat ein wichtiger Akteur in diesem Konflikt. Die EU hat in der Vergangenheit bereits mehrfach versucht, sich mit Khartum zu verständigen, was allerdings nicht zu den erhofften Resultaten geführt hat. Eine Kooperation mit dem Sudan ist insbesondere wichtig, da die Grenze zwischen Sudan und Tschad mehr eine gedachte als eine wirklich Grenze ist.

Dies stellt die Mission vor mindestens zwei Probleme: Erstens, wie bereits erwähnt, die möglichen grenzüberschreitenden Flüchtlingsströme von Darfur. Zweitens gewährt der Sudan verschiedenen tschadischen Rebellen Rückzug und Unterstützung, was eine Verletzung zahlreicher Vereinbarungen zwischen der Regierungen Khartum and N’Djamena darstellt.

Dieses Problem wird höchstwahrscheinlich auch nicht durch die Präsenz der gemeinsamen Mission der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union (UNAMID) in Sudan gelöst, die ebenfalls nur sehr eingeschränkt über mobile Truppen und Ausrüstung – insbesondere Hubschrauber – verfügt.

derStandard.at: Zeigt sich bei diesem geplanten Einsatz nicht überhaupt eine grundsätzliche Schwäche der EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Zwar in Worten ehrgeizig, aber ohne das nötige (auch finanzielle) Engagement dahinter?

Seibert: Sicherlich. Schließlich ist die EU nicht zum ersten Mal in einer Situation, in der sie Schwierigkeiten hat, geeinigte Truppen von den Mitgliedsstaaten für einen Einsatz in Afrika innerhalb kürzerer Zeit zu erhalten. Um dieses Problem zu lösen und der EU eine Interventions-Kapazität zu geben, hat die EU so genannte Battlegroups aufgestellte, die innerhalb kurzer Zeit einsatzbereit sind.

Insoweit ist die entscheidende Frage: Wo sind EU-Battlegroups? Warum hat die EU ab Januar 2008 zwei gut ausgestattete Battlegroups – eine geführt von Schweden (ca. 2.800 Soldaten) und eine weitere, geführt von Spanien (ca. 1.500 Soldaten) – on standby, während die EU nicht genügend Truppen für die Mission im Tschad und Zentralafrikanischen Republik finden kann?

Die bisherigen Erklärungen, dass die Battlegroups nur für Einsätze von bis zu 6 Monaten vorgesehen sind, ist nicht befriedigend. Dies wirft höchstens Fragen über das derzeitige Battlegroup-Konzept auf. (derStandard.at, 18.12.2007)