Politikwissenschafter Emmerich Tálos zur Frage, ob eine Gewerkschaft eine Bank besitzen sollte und über „unauflösbare Interessenkonflikte“ zwischen Banken und Gewerkschaften. (Ein Interview für derStandard.at)


derStandard.at: Welche Aufgaben sollte eine Gewerkschaft grundsätzlich wahrnehmen und inwieweit sind diese Aufgaben damit vereinbar, dass sie eine Bank besitzt?

Emmerich Tálos: Gewerkschaften sind dazu da, die Interessen der unselbständig Erwerbstätigen in der Arbeitswelt, aber auch darüber hinaus zu vertreten. Das heißt, sie sollten Interessen in einem relativ breiten Ausmaß vertreten: Das reicht eben von der Gestaltung der Arbeitsbedingungen über die Frage der Gesundheitssicherung bis zur sozialen Absicherung für den Fall von Risiken.

In das Profil von Gewerkschaften nicht von Vornherein integrierbar sind Besitztümer, insbesondere Banken. Bei Immobilien können Gewerkschaften noch argumentieren, diese Investitionen könnten eine finanzielle Absicherung sein, um die Schlagkräftigkeit einer Organisation zu steigern.

derStandard.at: Warum stellt gerade der Besitz einer Bank ein besonderes Problem dar?

Tálos: Ich stelle hier eindeutig fest, dass es einen ganz massiven Interessenkonflikt gibt, denn hier werden vollkommen unterschiedliche Zielvorstellungen verfolgt. Mir ist in diesen Auseinandersetzungen immer bewusster geworden, dass sich dieser Konflikt letztendlich auch nicht ausbügeln lässt: Eine Bank bewegt sich eben im Rahmen des Finanzkapitals und wie wir wissen gehört es eben zu den Strategien von Banken, durchaus riskante Geschäfte zu machen – Geschäfte, die eine Gewerkschaft als falschen Weg kritisieren würde.

derStandard.at: Die BAWAG gilt als „Gewerkschaftsbank“, hat sie sich von ihren ursprünglichen Aufgaben entfernt?

Tálos: Die BAWAG wurde nicht in erster Linie als eine Bank für die Gewerkschaft, sondern als Bank für Gewerkschaftsmitglieder gegründet, um ihnen einen bestimmten Service zu bieten. Als Bank also, die den Gewerkschaftsmitgliedern entsprechend günstige Konditionen macht. Nicht nur Gewerkschaftsmitglieder, sondern auch die Gewerkschaft selbst haben ja daraus lange Zeit einen beträchtlichen Nutzen gezogen, denn die Gewerkschaft ist mit den Dividenden gut bedient worden – im Besonderen mit der Sonderdividende, die es im Jahr 2004 gegeben hat.

Die Gewerkschaften haben nach dem römischen Spruch „Pecunia non olet“ agiert – und jetzt hat sich eben herausgestellt, dass dieses Geld stinkt. Eine Bank kann eben nicht als Nikolo agieren, sie wird also auch riskante Geschäfte eingehen, so wie halt die Usancen in diesem Bereich sind – und das kann man einer Bank eigentlich nicht verwehren.

derStandard.at: Besteht das Problem wirklich nur darin, dass die Gewerkschaft damit die moralischen Ansprüche verletzt, die sie selbst erhebt?

Tálos: Es gibt hier noch eine zweite Stufe des Glaubwürdigkeitsverlustes: Nämlich dass hier die Gewerkschaft für vollkommen riskante Geschäfte unmittelbar gehaftet hat – und zwar mit ihrem Vermögen, das ja nicht zuletzt auch durch die Mitgliedsbeiträge zustande gekommen ist. Das zweite Problem ist, dass die entsprechend verantwortlichen Personen diese Entscheidung getroffen haben, aber niemanden darüber informiert haben.

derStandard.at: Sie würden also dafür plädieren, dass der ÖGB die BAWAG verkauft?

Tálos: Vor einigen Monaten habe ich das noch anders gesehen, weil ich gedacht habe, dass es für eine Gewerkschaft einfach wichtig ist, eine finanzielle Basis zu haben. Ich bin mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass dieser Interessenkonflikt zu massiv und nicht auflösbar ist. Von daher bin ich heute wirklich fest davon überzeugt, dass es letztlich unvereinbar ist, dass eine Gewerkschaft eine Bank besitzt. Ich würde das nicht so sehen, wenn es um Vermögen in der Form von Immobilien geht, da nisten sich die Heuschrecken nicht ein – beim Bankgeschäft aber schon.

derStandard.at: Es heißt, nur der zurückgetretene ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch sowie der BAWAG-Aufsichtssichtsrat Günter Weninger, der zugleich ÖGB-Finanzchef war, habe im ÖGB Bescheid gewusst. Ist es möglich, dass sie tatsächlich über solche Dinge alleine entscheiden können?

Tálos: Bis jetzt hat mir diesen Punkt noch niemand aufgeklärt. Ich kenne auch das Statut als Solches nicht – und offenkundig weiß auch in der Gewerkschaft niemand genau darüber Bescheid, wie das eigentlich ist, also auf Basis welcher Bestimmungen der Statuten diese Entscheidung getroffen worden ist.

Aber sei es drum! Aus diesem Fall ist zu lernen, dass die Kommunikation innerhalb des ÖGB eigentlich ziemlich mies ist.

derStandard.at: Rechnen Sie damit, dass der ÖGB die BAWAG verkaufen wird?

Tálos: Ich weiß es nicht, wissen Sie, ich habe am Freitag nicht gedacht, dass Verzetnitsch wirklich zurücktritt. Das habe ich dem ÖGB, so wie die Strukturen sind, nicht ganz zugetraut. Sei´s drum, man lernt immer wieder dazu. Aber von daher ist das schwer einzuschätzen. Allerdings rechne ich nicht damit.

derStandard.at: Welche Reformen halten Sie innerhalb des ÖGB für nötig?

Tálos: Der ÖGB wird bestimmte Dinge klären müssen, auch gegenüber den Mitgliedern: Wie schaut das aus mit der Bank und was macht das für einen Sinn? Wie lässt sich der angesprochene Interessenkonflikt zwischen Bank und Gewerkschaft im Sinne des ÖGB auflösen? Wenn der ÖGB meint, man könne das irgendwie aussitzen, und es ihm nicht gelingt, darauf Antworten zu finden, wird darunter seine Glaubwürdigkeit weiterhin leiden.

Zweitens muss der ÖGB die Organisationsreform angehen, die verschoben wurde, weil es dem ÖGB nicht gelungen ist, koordiniert vorzugehen. Die bisherigen Fusionierungen sind – sagen wir einmal zufällige Prozesse, da steht kein Konzept dahinter, in das die Teilgewerkschaften eingebunden sind. Ein weiterer Punkt ist das Verhältnis des ÖGB als überparteilicher Gewerkschaftsbund und den Parteien.

Schließlich halte ich zwei Punkte für die Zukunft des ÖGB für zentral: Erstens muss der ÖGB sein strategisches Repertoire in jedem Fall erweitern. Die Gewerkschaft wird in Zukunft eine Balance finden müssen zwischen ihrer bisheringen Stragie der Konsenssuche und Kompromisse – also einer Interessenpolitik, die sehr sozialpartnerschaftlich orientiert ist.

Der ÖGB lebt in einer sehr stark veränderten Umwelt und er wird seine eigenen Positionen kantiger präsentieren müssen und eine Konfliktstrategie als ganz normales Instrument aufnehmen müssen. Mit der Politik der Anpassung und des Kompromisses lassen sich die Interessen der unselbständigen Erwerbstätigen in einer zunehmend arbeitnehmerfeindlichen Umwelt nicht mehr lösen.

Zweitens müsste der der ÖGB sich inhaltlich neu orientieren. Das Stichwort dazu lautet „Solidarität in der Vielfalt“: Der ÖGB müsste die Pluriformität, die es mittlerweile in der Erwerbsarbeitswelt gibt, als Solches tatsächlich aufnehmen. Nach wie vor ist die Gewerkschaft zu sehr in Richtung eines Beschäftigungsverhältnisses und des –typus orientiert, wie er im 20. Jahrhundert üblich war, nämlich dauerhaft und Vollzeit. Dies traf in erster Linie auf Männer zu.

Hier muss er seinen Blickwinkel einfach erweitern und die vielfältigen Interessen wahrnehmen, und nicht mehr ausschließlich die Interessen unter dem Blickwinkel des Normalarbeitsverhältnisses. Hier geht es nicht nur um Fragen von Inländern und Arbeitsmigranten, sondern insbesondere um die Frage der Geschlechter: Immer mehr Frauen arbeiten, aber der Organisationsgrad der Frauen sinkt. Frauen sind vielfach in Bereichen beschäftigt, wo die Gewerkschaft wirklich erst zeigen müsste, dass sie für deren Interessen eintritt, nämlich in der Teilzeitbeschäftigung. Allerdings sind viele Teilzeitbeschäftigte nicht mehr Mitglied der Gewerkschaft.

derStandard.at: Im Grunde könnte man fast sagen, dass diese Krise – die natürlich dramatisch ist für die Gewerkschaft – wieder Reformen auf die Tagesordnung bringt, die dringend nötig sind…

Tálos: Es klingt so blöd, wenn man sagt, irgendwie ist es auch eine Chance. Aber es ist so, dass der ÖGB mit einem Ereignis konfroniert ist, das eigentlich niemand gewünscht hat, die wenigsten erwartet haben, aber zugleich besteht auch die Möglichkeit, Dinge wirklich aufzunehmen und zu verfolgen, die man immer rausgeschoben hat.