Österreich ist in OECD-Vergleichen Schlusslicht bei Vermögenssteuern. Nicht nur Gewerkschaften kritisieren das, auch die OECD empfiehlt Österreich Reformen. Erschienen in: Arbeit&Wirtschaft 11/2012.

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Deutsche fein raus“, so betitelte die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ eine Grafik, die Steuern auf Vermögen in ausgewählten OECD-Ländern darstellt. In dieser liegt Deutschland auf dem drittletzten Platz. „Österreicher noch feiner raus“, könnte man hinzufügen – Österreich ist nämlich Schlusslicht dieser Auflistung. Das Erstaunliche daran: Die ersten beiden Plätze nehmen die USA und Großbritannien ein. Konkret ausgedrückt: Im Jahr 2007 machten Vermögenssteuern in den USA 11,7 Prozent der Steuern und Abgaben aus, in Großbritannien 11,6 Prozent – fast zehn Mal mehr als in Österreich, wo ihr Anteil bei gerade einmal 1,3 Prozent lag. Wie kommt es, dass ausgerechnet die angelsächsischen Länder, die in der allgemeinen Wahrnehmung eher als steuerfeindlich gelten, Vermögen deutlich höher besteuern?

Höhere Grundsteuern

In den angelsächsischen Ländern sind insbesondere Grundsteuern deutlich höher. Eine wesentliche Ursache dafür nennt Margit Schratzenstaller vom WIFO: Anders als in Österreich werden dort kommunale Abgaben über die Grundsteuer erhoben, was diese höher ausfallen lässt. „Das ist also eine Verzerrung“, so Schratzenstaller. Konkret ließen sich die europäischen Länder zwar nur schwer miteinander vergleichen, da entsprechende Daten „nur sehr, sehr beschränkt“ zur Verfügung stehen. Nichtsdestotrotz hält die Wirtschaftsforscherin fest: „Grundsteuern sind sowohl im OECD- als auch im EU-Durchschnitt deutlich höher als in Österreich.“

Warum die Einnahmen aus Vermögenssteuern in Österreich so niedrig ausfallen – und zwar obwohl die Abgabenquote hierzulande verhältnismäßig hoch ist –, dazu bestehen zwei Hypothesen. Eine lautet, dass es in Österreich nicht so große Vermögen gibt. „Das bezweifle ich allerdings“, sagt Schratzenstaller und weist auf die jüngste Studie der Österreichischen Nationalbank (OeNB) zur Vermögensverteilung in Österreich hin. „Auf der Hand“ liegt ihrer Ansicht nach vielmehr, dass in Österreich die Steuern niedrig sind.

Ein Beispiel sei eben die Grundsteuer: Da die Einheitswerte in Österreich in den vergangenen Jahren kaum bis gar nicht an die Realitäten angepasst wurden, ist sie verhältnismäßig niedrig. Aber auch, dass es keine Kapitalverkehrssteuer gibt, mache einen großen Unterschied aus. „Immerhin zehn andere EU-Länder haben eine Börsenumsatzsteuer, in Österreich hingegen wurde diese im Jahr 2001 abgeschafft“, sagt Schratzenstaller. Ein Land, in dem es eine solche Steuer – die sogenannte Stempelsteuer – gibt, ist Großbritannien.

Die Börsenumsatzssteuer ist nicht die einzige Steuer, die in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten abgeschafft wurde: Im Jahr 1994 wurde etwa die allgemeine Vermögenssteuer gestrichen, 1995 die Wertpapiersteuer, im Jahr 2008 folgten die Erbschafts- und die Schenkungssteuer. Diese und weitere Steuererleichterungen haben dazu geführt, dass sich der Anteil der vermögensbezogenen Steuern am BIP in Österreich zwischen 1980 und 2006 fast halbiert hat, und zwar von 1,1 Prozent auf 0,6 Prozent. Anders bei den 15 Staaten, die 2006 Mitglied der EU waren. Dort ist ihr Anteil um etwas mehr als die Hälfte angestiegen und lag 2006 bei 2,2 Prozent.

Klassische Vermögenssteuern

Klassische Vermögenssteuern wurden allerdings nicht nur in Österreich abgeschafft, sondern in vielen EU-Ländern, wie Markus Marterbauer in seinem Buch „Zahlen bitte!“ festhält. Anders in Frankreich: Anfang der 1980er-Jahre führte der damalige sozialistische Präsident François Mitterrand den „Impôt de solidarité sur la fortune“ ein, was übersetzt so viel wie „Solidarsteuer auf Vermögen“ bedeutet. Fällig wurde sie ab einem Vermögen von 800.000 Euro. Die konservativen Regierungen, die während der vergangenen Jahrzehnte in Frankreich großteils am Ruder waren, haben sie nicht abgeschafft. Unter Präsident Nicolas Sarkozy wurde sie lediglich gesenkt. Das ändert sich nun, denn die Regierung des neu gewählten sozialistischen Präsidenten François Hollande hat diese Senkung teilweise wieder rückgängig gemacht. Die Steuer wird ab einem Vermögen von 1,3 Mio. Euro fällig, der Steuersatz liegt zwischen einem halben und 1,5 Prozent. Der erhoffte Erlös für 2013: eine Milliarde Euro.

Spitzensteuersatz, den keiner zahlt

Hollande war außerdem mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen, Einkommen von über einer Million Euro mit 75 Prozent zu besteuern. Inzwischen nimmt dieser Plan immer konkretere Formen an, die Steuer soll für zwei Jahre eingeführt werden. Als Vorbild für Österreich eignen sich die französischen Pläne zumindest in Bezug auf die Einkommenssteuer allerdings nicht, findet Schratzenstaller. „In Österreich liegt der Spitzensteuersatz zwar bei 50 Prozent, nur zahlt ihn niemand. Effektiv liegt er nur bei 44 Prozent.“ Grund dafür sind zahlreiche Ausnahmen, eine davon betrifft die Bauern: „Von ihnen ist der Großteil pauschaliert“, so Schratzenstaller. Auch falle die Begünstigung des 13. und 14. Monatsgehalts bei unselbstständig Beschäftigten darunter. „Einen Spitzensteuersatz zu erhöhen, den eh keiner zahlt, das führt am Ziel vorbei“, findet Schratzenstaller. In Österreich müsse daher vielmehr der Kampf gegen Ausnahmen Vorrang haben.

Mehr vermögensbezogene Steuern fordern nicht nur die Gewerkschaften. Sogar die OECD kritisierte Österreich im Jahr 2011 mit den Worten: „Der Anteil der Vermögenssteuern ist im internationalen Vergleich gering, insbesondere weil die Werte von Grundstücken und Gebäuden in den vergangenen Jahrzehnten kaum angepasst wurden.“ Die Empfehlung der Wirtschaftsorganisation: „Die Bewertungen von Immobilien sollten an den Marktwert angepasst werden.“ Auch zum Thema Erbschafts- und Schenkungssteuer sagt die OECD: „Die Wiedereinführung dieser Steuern sollte im größeren Kontext einer allgemeinen Überprüfung der Kapitalbesteuerung in Betracht gezogen werden.“

In die österreichische Debatte ist indessen Bewegung gekommen. So wurden in den vergangenen Jahren einige Reformen beschlossen, mit denen Vermögen ein wenig stärker belastet werden. Doch reichen die Bemühungen? Nein, findet Wirtschaftsforscherin Schratzenstaller. Ein großes Manko sieht sie darin, dass die Erbschafts- und Schenkungssteuer seit ihrer Abschaffung nicht reformiert wurde. Nichtsdestotrotz gebe es Ansatzpunkte, „die durchaus in die richtige Richtung gehen“. Ein Beispiel ist für sie die Wertpapier-KEST, die bislang de facto nur von wenigen bezahlt worden sei. „Eine gute Nachricht ist, dass die Spekulationsfrist abgeschafft wurde und dass die Steuer nun wieder an der Quelle abgeführt wird.“ Damit könne man sich ihr nicht mehr so einfach entziehen. Dass die Spekulationsfrist nun auch beim Verkauf von Grund- und Immobilienvermögen abgeschafft wurde, hält sie ebenfalls für richtig.

Zusätzlichen Diskussionsstoff brachte die bereits erwähnte Verteilungsstudie der OeNB. Ihr zufolge konzentriert sich immer mehr Vermögen auf einen kleinen Personenkreis. So besitzen die reichsten zehn Prozent jeweils mindestens 542.000 Euro pro Jahr, die ärmsten zehn Prozent hingegen weniger als 1.000 Euro. Und: Erben ist eine der wichtigs-ten Vermögensquellen, wobei Erbschaften vor allem in vermögenderen Haushalten gemacht werden. Warum sie für Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuern ist, begründet die OECD denn auch damit, dass sie „zur Verringerung von Vermögensungleichheit“ beitragen würden.

Dass es schwer ist, europäische Vergleiche anzustellen, wird sich bald ändern. Denn die Europäische Zentralbank hat die Länder dazu aufgerufen, ihre Situation genau zu untersuchen. Vor diesem Hintergrund entstand auch die OeNB-Studie. „Im März wissen wir mehr“, so Schratzenstaller. Dann nämlich werden die Daten aus allen Euro-Ländern vorliegen.