„Pass auf auf Dich!“ oder „Bist Du mutig!“ Worte wie diese gaben sie mir mit auf den Weg. Nein, es ging nicht um eine Reise in ein Kriegsgebiet. Vielmehr hatten eine Arbeitskollegin und ich uns verabredet, uns das Match Kroatien-Türkei im Brunnenmarktviertel anzusehen. Es war 2008 und Österreich war eines von zwei Austragungsorten der Fußball-EM. Als wir uns trafen, rätselten wir beide gemeinsam, was denn nun auf einmal los ist, denn auch in ihrem Umfeld sorgte man sich um ihre Sicherheit. „Na ja, wir sind ja mit dem Rad unterwegs, zur Not radeln wir halt schnell wieder weg“, scherzten wir.
An dieses Erlebnis musste ich zurückdenken, als ich diesen Beitrag über Molenbeek las. Auch bei der von mir erzählten Anekdote war die Aufregung völlig übertrieben. Das Match sahen wir uns in einer Seitengasse des Brunnenmarktes an, wo es jemand an die Mauer eines Hauses beamte, in der Pause gönnten wir uns eine leckere Pljeskavica und am Ende genossen wir den Autokorso am Gürtel, bei dem wir sogar einen Kroatien-Fan auf einem der türkisch beflaggten Autos ausmachen konnten. Fair enough, es geb sehr wohl Berichte über Auseinandersetzungen ein wenig weiter draußen in der Ottakringer Straße. Wir bekamen dies allerdings erst über die Medien mit.
Wir taten also gut daran, uns auf unsere eigene Einschätzung zu verlassen und uns nicht von der allgemeinen Hysterie beeindrucken zu lassen. Nun weiß ich nicht, ob man die beiden Viertel eins zu eins miteinander vergleichen kann, denn ich war noch nie in Molenbeek. Am Brunnenmarkt jedenfalls hatte schon damals Boboland Einzug gehalten. Umso spannender aber ist es, wie schnell ein Viertel sogar von Menschen, die in der Nähe leben, auf einmal als gefährlicher Brennpunkt wahrgenommen werden kann.
Vor diesem Hintergrund erscheint es umso weniger erstaunlich, dass es für rasch angereiste KorrespondentInnen schwierig ist, sich ein ausgewogenes Bild zu machen. Auch hier poppt in mir eine Erinnerung auf: Im Jahr 2004 war ich auf Zypern, um über das Referendum über die Wiedervereinigung der beiden Inselteile zu berichten. Ich war im Jahr davor schon einmal auf der Insel gewesen und hatte in Nikosia per Zufall einen türkischen Zyprioten kennengelernt. Er führte mich durch den türkischen Teil der Hauptstadt, übersetzte für mich und gewährte mir so spannende Einblicke in das Denken „auf der anderen Seite“ – ich hatte vorher hauptsächlich mit griechischen ZypriotInnen Kontakt.
Als ich nun im Jahr 2004 alleine durch den Nordteil spazierte, fühlte ich mich unwohl. Die bewaffneten Soldaten in der Stadt schüchterten mich ein, ich konnte mit fast niemandem sprechen, denn kaum jemand, den ich ansprach, konnte Englisch. Ich verbrachte dennoch eine zeitlang dort, war aber unglaublich erleichtert, als ich die Grenze wieder überschritten hatte und im griechischen Teil war.
Heute denke ich, dass ich an dem Tag vielleicht auch nur müde war, weshalb ich empfindlicher war und manches bedrohlicher wahrnahm als nötig. Jedenfalls traf ich an einem anderen Tag meinen türkisch-zypriotischen Freund wieder. Dieses Mal nahm er mich mit in seine Heimatstadt an der Küste und ich verbrachte einen wunderbaren Abend mit seiner Familie. An einem anderen Tag stellte er mir Freunde vor, die mir wiederum vielfältige Einblicke gewährten.
Ich erinnere mich noch, wie überfordert ich mich zum Teil fühlte, immerhin galt es nicht nur die beiden Seiten zu verstehen, also die griechische und die türkische, sondern auch deren vielfältige Lebens- und Gedankenwelten. Und ich weiß noch, wie fremd ich mich fühlte, wenn ich mit anderen KorrespondentInnen sprach, von denen manche sehr eindeutige Meinungen vertraten – während sich mir immer mehr Fragen stellten. Nun will ich keinesfalls sagen, dass die KollegInnen allesamt undifferenziert waren, ganz im Gegenteil. Manche waren es gewohnt, über große Ereignisse von Orten zu berichten, die sie bis dahin noch nicht kannten. Manche mussten als Radioreporter kontinuierlich etwas liefern, so dass sie nicht einen ganzen Tag einfach zum Recherchieren aufwenden konnten. Und auch ich habe nur einen sehr kleinen Ausschnitt kennengelernt.
Wenn ich an all das zurückdenke und mir die Geschwindigkeit vor Augen halte, in der heutzutage Nachrichten aufpoppen und wieder verschwinden, wundert es mich nicht, dass so manche Berichte noch oberflächlicher werden. Eigentlich hätte ich mir schon damals gewünscht, noch mehr Zeit zu haben, um mir ein noch besseres Bild machen zu können. Heute scheint mir, dass man fast schon froh sein muss, wenn JournalistInnen überhaupt noch vor Ort geschickt werden. Dabei würde die große Beschleunigung, die nicht zuletzt durch die sozialen Medien stattgefunden hat, deutlich gründlicherer Recherchen bedürfen, deutlich mehr Innehalten und sickern lassen. Von daher kann ich mich der Analyse von Christine Moderbacher nur anschließen.
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