Der österreichische Ex-Außenminister und Vorsitzende des Österreichisch-Französischen Zentrums Peter Jankowitsch rechnet mit einer völlig neuen Arbeitsmarktreform und sieht Chiracs „Rennpferd“ für die Präsidentschaft stark geschwächt. (Ein Interview für derStandard.at)
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derStandard.at: Der umstrittene „Contrat première embauche“ (CPE) soll nun im Rahmen einer parlamentarischen Arbeitsgruppe noch einmal verhandelt werden. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass es noch zu einer weiteren Änderung kommt?
Peter Jankowitsch: Ich glaube, dass dieser CPE in seiner ersten Version Vergangenheit ist. Selbst die Präsidentin des Unternehmerverbands MEDEF Laurence Parisot meint, dass man nicht der Jugend die gesamte Last der Reform des Arbeitsmarktes aufbürden kann.Offenbar ist der Versuch gescheitert, den Arbeitsmarkt über die Jugendbeschäftigung zu reformieren – obwohl das natürlich eines der drängendsten Probleme auch in Frankreich ist. Ich glaube, dass anstelle dieses Reformversuches etwas ganz anderes wird kommen müssen, nämlich eine Reform des gesamten Arbeitsmarkts statt nur in diesem einen Segment, das natürlich besonders heftige Reaktionen bei der Jugend auslöst.
derStandard.at: Wie realistisch ist es, dass hier etwas ganz Neues kommt, schließlich haben sich hier sehr harte Fronten zwischen den Demonstranten und der Regierung gebildet?
Jakowitsch: Na ja, das Problem ist ja, dass die Regierung in dieser Sache offenbar nicht einig ist. Dazu kommt, dass es für Frankreich eine ganz neue Situation ist, dass die Regierungspartei der Regierung bestimmte Vorgaben macht. In Wirklichkeit lautet das Match ja Sarkozy gegen Villepin: Innenminister Nicolas Sarkozy, der gleichzeitig Parteivorsitzender ist – auch eine Neuheit in der Fünften Republik – ist erstmals ein sehr starker Minister und versucht natürlich jetzt, seine Chancen für die Präsidentschaft zu erhalten. Dominique De Villepin ist da natürlich in einer viel schwächeren Position.
derStandard.at: Dennoch, ein völliger Neubeginn würde ja bedeuten, dass man das Gesetz als Ganzes zurücknimmt. Ist das realistisch?
Jankowitsch: Das wird natürlich nicht so buchstabiert werden, sondern man wird bestimmte Übergangsformen wählen. Der Präsident hat gesagt, das Gesetz wird jetzt zwar formell in Kraft gesetzt, aber nicht angewendet. Das heißt ja nichts anderes, als dass ein anderes Gesetz kommt. Das ist eine diplomatische Form des Rückzugs – ein Rückzug angesichts dieser immer stärker werdenden Protestwelle, die ja von Mal zu Mal stärker wird. In Frankreich muss man immer aufpassen, da gibt’s auch manchmal Revolutionen.
derStandard.at: Sie haben das Match Sarkozy gegen de Villepin bereits angesprochen: Denken Sie, dass es Sarkozy nun gelingen könnte, de Villepin auszustechen?
Jankowitsch: Sarkozy hat sicher schon dadurch Punkte gesammelt, dass er nicht in der vordersten Linie steht. Die politische Verantwortung trägt der Premierminister und de Villepin hat bisher mit einem wirklich bewundernswerten Mut agiert. Aber er braucht natürlich zwei Dinge: Erstens den Rückhalt des Präsidenten, der ja in der Fünften Republik das letzte Wort hat, zweitens aber auch den Rückhalt der Regierungspartei, denn letztlich spielt ja auch das Parlament eine gewisse Rolle. Beide Formen der Rückendeckung sind offenbar nicht vorhanden.
Das ist natürlich auch für die Präsidentenwahlen von Bedeutung: Das Paradepferd Chiracs, sein ehemaliger treuster Mitarbeiter de Villepin, hätte sozusagen sein Bannerträger gegen den Sarkozy werden sollen. Das ist durch diese Entwicklung allerdings natürlich in Frage gestellt.
derStandard.at: Meinen Sie, dass es da noch zu Rücktritten kommen könnte?
Jankowitsch: Das ist im Augenblick nicht zu erwarten, aber de Villepin geht natürlich geschwächt in diese Auseinandersetzung um die Kandidatur (für das Präsidentenamt, Anm.). Diese Frage muss von der UMP („Union pour un Mouvement Populaire“, Anm.) entschieden werden und da ist Sarkozy natürlich in einer sehr starken Position.
derStandard.at: Inzwischen werden Parallelen zur Regierung Juppé gezogen, die nach Demonstrationen eine Niederlage bei den Parlamentswahlen einstecken musste. Inwieweit sind die derzeitigen Demonstrationen mit jenen aus dem Jahr 1995 vergleichbar?
Jankowitsch: Das ist durchaus vergleichbar, nur wird der Präsident nicht noch einmal den Fehler machen und unmittelbar nach solchen Auseinandersetzungen Wahlen anberaumen. Damals wollte Chirac mit den Neuwahlen ja erreichen, dass er ein neues Mandat erhält, das ihm aber nicht erteilt wurde. Würde er jetzt so ein neues Mandat verlangen, wäre der Ausgang sehr klar: Es würde wieder die Opposition gewinnen. Allerdings findet die nächste Präsidentenwahl ohnehin 2007 statt.
derStandard.at: Wie schätzen Sie die Lage der Opposition ein, wäre sie überhaupt stark genug, um von der derzeitigen Krise der Regierung zu profitieren?
Jankowitsch: Die Opposition geht aus diesem Konflikt gestärkt hervor, sie ist natürlich – und das hat die Wahl 2002 gezeigt – sehr stark zersplittert. Die stärkste Kraft ist sicher die Sozialistische Partei mit ihrem „rising star“ Ségolène Royale, die offenbar alle Mitbewerber aus dem Feld schlagen wird. Daneben gibt es aber natürlich noch die Kommunisten, die Grünen, Jean-Pierre Chévènement (Ex-Innenminister under der linksliberalen Regierung Jospin und Gegenkandidat des früheren PS-Chefs bei den Präsidentenwahlen 2002, Anm.) ist heute mehr oder minder verschwunden. Aber womit man in Frankreich immer zumindest als Irritationsfaktor rechnen muss, ist der linke Rand, wo es zwei trotzkistischen Parteien gibt.
Es ist also gar nicht so sicher, ob die Opposition so geschlossen antreten kann wie etwa Romano Prodi in Italien. Das ist eine offene Sache, wobei Ségolène Royale sicher das Zeug hätte, eine Mehrheit auf sich zu vereinen.
derStandard.at: Welche Rolle spielt die Opposition eigentlich im derzeitigen Konflikt?
Jankowitsch: Um nicht den Eindruck zu erwecken, hier als Trittbrettfahrer zu agieren, halten sich die Parteien vornehm zurück. Aber sie wissen natürlich, dass sie in der politischen Auseinandersetzung – das ist jetzt eine rein gewerkschaftliche Auseinandersetzung – keine schlechten Karten haben.
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