Was für ein großartiger Autor Yasmina Khadra doch ist! Die Schwalben von Kabul war das erste Buch, das ich von ihm gelesen habe, und es hat mich gefesselt. Danach habe ich seine Algier-Trilogie gelesen – eine zwar eigentlich schreckliche, aber ausgesprochen interessante Krimireihe rund um die Erlebnisse von Kommissar Llob.

Schon nach dem ersten Teil war mir klar: Jedes weitere Buch, das es von diesem Autor gibt oder geben wird, muss ich lesen. Denn erstens bin ich ein großer Algerien-Fan, auch wenn ich dieses Land noch nie live bereist habe. Einer der Gründe dafür ist, dass ich als Frau nicht alleine hinreisen möchte. Über Bücher, Musik und Gesprächen mit Algeriern aber war ich schon des öfteren dort.

Zweitens weil Khadra es großartig versteht, den algerischen Bürgerkrieg und die Macht der Islamisten zu beschreiben. Auch das Thema Terrorismus und dessen Ursachen verfolge mich schon seit Jahren, über Khadras Bücher konnte ich mich ein bisschen besser hineinfühlen – auch wenn es mir nach wie vor ein Rätsel ist, wie Menschen zu solchen Taten fähig sind.

Dass ich nun auch ein Interview mit diesem tollen Autor machen konnte, war eine großartige Erfahrung für mich.

„Westen profitiert mehr vom Terror als Muslime“
Der algerische Autor Yasmina Khadra über „Verrückte, Monster und Terroristen“ sowie die Hoffnungen der Algerier. Ein Interview für derStandard.at

Gleich vier Anschläge innerhalb von zwei Wochen: Dies ist die traurige Bilanz des Monats September. Diese Terrorserie beunruhigt Yasmina Khadra vor allem deshalb, weil zum ersten Mal Selbstmordattentäter in Algerien am Werk waren. Im derStandard.at-Interview vertritt der algerische Autor die Ansicht, dass die Algerier den Islamisten nicht mehr glauben, dass der Westen am meisten vom Terrorismus profitiert und erklärt, was nötig wäre, damit man überhaupt erst hoffen könnte, dass das Land seine Krise überwinden kann. Die Fragen stellte Sonja Fercher.

* * *
derStandard.at: In Ihren Büchern beschreiben Sie die Situation in Algerien, als die Islamisten gerade am Aufstieg waren. Hat sich seither etwas verändert?

Yasmina Khadra: Die Situation hat sich grundlegend verändert, aber das Übel ist noch nicht ausgemerzt. Algerien ist erst auf dem Weg der Genesung, und die Traumata des „schwarzen Jahrzehnts“ (die 90er Jahre, als Islamisten und Regierungstruppen einen erbitterten Krieg führten, Anm.) sind noch immer präsent.

Die Islamisten haben jegliche Glaubwürdigkeit verloren, für die Mehrheit der Algerier sind sie nicht mehr als Söldner im Dienst weiß Gott was für einer Teufelei. Auf politischer Ebene werden inzwischen moderate islamistische Parteien aktiv, aber das algerische Volk glaubt nicht mehr an ihre Versprechungen. Die Algerier erwarten sich einen wirtschaftlichen Aufschwung, unsere Jungen träumen von einer ordentlichen Arbeit und einem guten Leben.

derStandard.at: Wer unterstützt eigentlich die Terroristen?

Khadra: Auf internationaler Ebene werden sie von der Al Kaida unterstützt, sie profitieren von ihrem medialem Einfluss und von ihrem Propagandanetzwerk.

Auf finanzieller Ebene leben sie von Schutzgelderpressung, Enführungen und vom Drogenhandel. Ihre Kriegsbeute führen sie über eine riesige Geldwäsche- Operation wieder der Wirtschaft zu: Über Investitionen in der Telekombranche, in Immobilien und in das Import-Export-Geschäft.

Im Laufe der Jahre haben sie beträchtliche Erfahrungen gesammelt, dank derer nicht nur ihre logistische, sondern auch ihre militärische Autonomie abgesichert ist, denn sie haben ein Netzwerk aufgebaut, über das sie Zugriff auf Waffen haben.

derStandard.at: Terrorismus als Mittel des Befreiungskrieges: Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

Khadra: Befreiung wovon? Ich denke, dass der Westen viel mehr vom Terrorismus profitiert als die Muslime selbst. Seit ein paar Jahren habe ich meine Meinung zu dem Thema verändert: Was im Irak passiert ist dermaßen absurd, dass ich zu der Überzeugung gekommen bin, dass außer-irakische Kräfte das Chaos nutzen, um in völliger Straffreiheit wüten zu können.

Die Herausforderungen sind enorm, und die westlichen Hauptstädte finden in diesem Krieg eine unschätzbare Geldquelle. Ich halte nicht sonderlich viel von der amerikanischen Theorie von Demokratie und all dem anderen albernen Geschwätz.

derStandard.at: Einer der Terroristen, die das Attentat in Delly verübt haben, war gerade einmal 15 Jahre alt. Ist das eine neue Entwicklung und wie lässt es sich erklären, dass ein so junger Mensch so etwas tut?

Khadra: Das ist in der Tat sehr beunruhigend. Während zwölf Jahren des Terrorismus hatten wir es nicht ein einziges ein einziges Mal mit dieser Form des Kampfes zu tun. Am Alarmierendsten ist nicht nur, dass sich Kinder freiwillig für diese Art von Massaker anbieten, sondern auch diese neue Form der Gewalt. Das verrät den extremistischen Charakter der algerischen Terroristen, und wenn ein Krieg keine Grenzen kennt, dann ist es möglich, dass selbst die schlimmsten Befürchtungen übertroffen werden.

derStandard.at: In Ihren Büchern „Wovon die Wölfe träumen“ und „Die Lämmer des Herren“ beschreiben Sie jeweils Personen, die zu Terroristen wurden. Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Gründe für eine derartige Radikalisierung?

Khadra: Da gibt es tausende, von denen ich in meinen Büchern jene zu beschreiben versucht habe, die mir am wichtigsten erschienen. Es gibt die verschiedensten Beweggründe, manche davon kann man nicht einmal erahnen.

Aber es gibt eine Ursache des Terrorismus, über die man fast nie spricht, und das ist die Verantwortung des Westens. Es wird Zeit, dass die Menschen im Westen reagieren, dass sie etwas gegen die mit alarmierenden Diskurse und die mediale Darstellung tun, wonach Muslime potentielle Feinde oder Wilde sind.

Die größten Verbrechen der Menschheit sind etwas exklusiv westliches und die Barbarei hat immer da ein besonderes Talent entwickelt, wo die Moderne zu einer moralischen und intellektuellen Transzendenz erklärt wurde.

derStandard.at: Während seiner Arbeit ist ihre Romanfigur, der Kommissar Llob, an allen Ecken und Enden mit Korruption konfrontiert. Hat sich dies inzwischen verbessert?

Khadra: Wie sollen die Dinge besser werden, wenn sich nichts verändert hat. In der Justiz wird gemauschelt wie eh und je, um das Bildungssystem ist es schlecht bestellt, die Verarmung erreicht selbst die frühere Mittelschicht und die Prostutition wird geradezu zum algerischen Nationalsport.

Nein, die Korruption ist nicht weniger geworden, sie hat sich sogar noch verschlimmert. Sie ist nunmehr eine Frage des Überlebens in einem Land, das an Bevormundung und Protektionismus leidet.

derStandard.at: Haben Sie nach so vielen Jahren des Krieges noch Hoffnung?

Khadra: In dem posttraumatischen Fieber, in dem sich das Land befindet, ist alles erlaubt: Die Hoffnung wie die Enttäuschung. Was uns bleibt, ist die Korruption zu bekämpfen, die sich auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung ausgebreitet hat, und die Kompetenz muss wieder der Vetternwirtschaft und dem Nepotismus vorgezogen werden.

Erst wenn sich die Algerier dazu entscheiden, die Dinge in ihre eigenen Hände zu nehmen und ihre Ärmeln aufkrempeln, kann man überhaupt erst beginnen zu hoffen, dass all die sozialen Geißeln Schritt für Schritt bekämpft werden können, die aus einem obsoleten System resultieren, das selbst (Präsident Abdelazziz, Anm.) Bouteflika mit all seinem guten Willen und all seinen Fähigkeiten bislang nicht erfolgreich bekämpfen konnte.

derStandard.at: Wie schätzen Sie die von Bouteflika initiierte nationale Versöhnung ein: Ist es ihm ernst damit und sehen Sie vielleicht auch schon Erfolge?

Khadra: Ich glaube nicht an dieses Projekt, das ist nur ein frommer Wunsch. Zwar ist es Bouteflika ernst damit, aber er richtet sich damit an Verrückte, Monster, Terroristen, die es nicht einmal verdienen, dass man sie anspuckt.

Nichts desto trotz sehe ich mich als Bürger einfach dazu verpflichtet, Bouteflika in seinen Bemühungen zu unterstützen, denn er ist ziemlich allein, verraten selbst von seinen eigenen Verbündeten. Denn wir haben ein Ziel gemeinsam, nämlich zunächst die Ordnung wiederherzustellen und danach die Rechnungen zu begleichen, und zwar auf dem Weg der Justiz.

derStandard.at: Eine Gruppe von Islamisten versucht als Partei zugelassen zu werden. Würden Sie eine solche Zulassung als legitimen Weg, um sie in die Gesellschaft zu reintegrieren, sehen oder als politische Gefahr?

Khadra: Die Gesetze sind hier sehr klar: Die Terroristen von gestern wie die Terroristen von heute dürfen keine politische Partei gründen. Sie wissen nicht einmal, was das ist. Sie sind nichts als Söldner, die vergessen haben, für wen sie in Wahrheit töten und sterben.

Link: Homepage von Yasmina Khadra