Im europäischen Vergleich steht Österreich punkto Jugendarbeitslosigkeit zwar gut da, aber die Gewerkschaftsjugend sieht Handlungsbedarf bei Schule und Lehre. Erschienen in: Arbeit&Wirtschaft 3/2013.
***
Generation Praktikum, Lehrstellenmangel, Pisa-Misere: Blickt man über die Grenzen, dann sehen die Zukunftsperspektiven für Jugendliche düster aus. Zumindest was die Jugendarbeitslosigkeit betrifft, steht Österreich besser da: Innerhalb der EU ist es das Land mit der zweitniedrigsten Jugendarbeitslosigkeit.
Lage in Spanien schlimmer
„Von den europäischen Kollegen weiß ich, dass die Lage zum Beispiel in Spanien viel schlimmer ist als in Österreich. Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen“, meint Michael Trinko von der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ). Denn so gut Österreich im europäischen Vergleich auch aussieht: Die Arbeitslosenquote der Jugendlichen ist immer noch doppelt so hoch wie jene der Erwachsenen, betont der Gewerkschafter. Dazu kommt, dass Bildung in Österreich nicht von der Begabung abhängig ist, sondern vom Geld und von der Bildung der Eltern. So hat mehr als die Hälfte der Familien, deren Kinder in die fünfte Klasse AHS gehen, ein Haushaltsnettoeinkommen von mehr als 2.400 Euro – nur 15 Prozent hingegen haben eines von bis zu 1.500 Euro. Im Gegensatz dazu stehen einem Drittel der Familien mit Kindern in den Polytechnischen Schulen nur bis zu 1.500 Euro zur Verfügung. Über 60 Prozent der AkademikerInnen-Eltern streben für ihre Kinder ebenfalls ein Studium an.
Besonderen Handlungsbedarf sieht Trinko bei den sogenannten „U-Booten“. So werden jene jungen Menschen bezeichnet, die die Schule mit Ende der Schulpflicht verlassen – und danach keine weitere Ausbildung mehr anhängen. Schätzungen gehen davon aus, dass es jährlich 8.000 bis 10.000 SchulabbrecherInnen gibt. Diese tauchen dann mit 20, 21 Jahren wieder auf dem Arbeitsmarkt auf und haben dort ohne Ausbildung natürlich schlechte Karten, erklärt Trinko. „Jede und jeder einzelne Jugendliche soll zumindest mit einem Pflichtschulabschluss aus der Schule herauskommen.“
Mit dieser Forderung steht die Gewerkschaftsjugend keineswegs allein da: Erst Ende Februar haben die Sozialpartner unter dem Titel „Bildungsfundamente“ gemeinsame Vorschläge zur Reform von Schule und Lehre vorgestellt. Darin enthalten: SchülerInnen sollen für den Pflichtschulabschluss auch länger Zeit bekommen als neun Pflichtschuljahre, wenn sie das brauchen. Dann geht niemand mehr von der Schule ohne Abschluss, was die Chancen am Arbeitsmarkt deutlich erhöht.
Seit 2008 Ausbildungsgarantie
Die verhältnismäßig guten Zahlen haben die Aufmerksamkeit anderer EU-Länder auf Österreich gelenkt. Nun soll auch auf europäischer Ebene die Ausbildungsgarantie umgesetzt werden, die hierzulande im Jahr 2008 beschlossen wurde. Ermöglicht wird sie durch die überbetriebliche Lehrausbildung, in der Jugendliche eine Lehrstelle finden, die sich erfolglos bei Firmen beworben haben. Ziel ist es, dass die Jugendlichen so schnell wie möglich eine „reguläre“ Lehrstelle finden.
Trinko hält diese Maßnahme grundsätzlich für positiv, warnt aber davor, dass sie von Betrieben missbraucht werden könnte: „Die Wirtschaft jammert über fehlende Fachkräfte, aber die Ausbildung wird verstärkt auf staatlich finanzierte Ausbildungen abgeschoben“, sagt Trinko. „Es gibt Firmen, die sich auf die überbetriebliche Ausbildung verlassen und die die fertig ausgebildeten jungen Menschen erst dann übernehmen, wenn sie im Betrieb voll eingesetzt werden können“, kritisiert der Gewerkschafter. Um zu belegen, dass die Wirtschaft immer weniger in diesem Bereich tut, zitiert Trinko folgende Zahl: „Seit 1980 ist die Zahl der Lehrstellen um ein Drittel zurückgegangen, von 194.000 1980 auf 128.000 im Jahr 2011.“
Keine Qualitätskontrolle bei Lehre
„Die Lehre ist der einzige Bildungsweg, bei dem es keine Qualitätskontrolle gibt“, macht Trinko auf ein weiteres Manko aufmerksam. „Die Wirtschaft argumentiert immer, dass die Lehrabschlussprüfung die Qualitätskontrolle sei, aber das stimmt nicht.“ Die Lehrlinge müssten auch zwischendurch Feedback bekommen, um zu wissen, wo sie stehen und wo sie eventuell etwas nachzuholen haben. „Viele treten gar nicht erst zur Lehrabschlussprüfung an, weil sie von ihren Betrieben zu schlecht vorbereitet worden sind“, weiß Trinko aus der Praxis.
Änderungen bei der Berufsorientierung und im Schulsystem können nicht nur die Chancen von Jugendlichen im Allgemeinen verbessern. Sie würden vor allem zwei Gruppen unterstützen, die derzeit deutlich im Nachteil sind: Migrantinnen/Migranten und Frauen. Dass es Migrantinnen und Migranten schwerer haben, eine Lehrstelle zu finden, liest Trinko aus folgenden Zahlen ab: Jugendliche mit anderer als der österreichischen Staatsbürgerschaft machen 7,7 Prozent der Lehrlinge aus – in der überbetrieblichen Ausbildung sind es 17 Prozent.
Nach wie vor mit Vorurteilen zu kämpfen haben auch Frauen: „Zu uns kommen immer mehr Mädchen, die eine Lehre in einem technischen Beruf machen wollen, aber die Betriebe lassen das nicht zu – mit dem Argument, dass Mädchen für einen solchen Beruf nicht geeignet seien“, berichtet Trinko. Bei den Frauen wiederholt sich das Muster, das es bei Migrantinnen und Migranten gibt, denn auch sie sind in der überbetrieblichen Lehre überproportional vertreten: „Der Frauenanteil unter den Lehrlingen liegt bei 34,2 Prozent, in der Überbetrieblichen bei 42,5 Prozent“, so Trinko.
Hartnäckige Rollenklischees
Dazu kommt, dass sich gerade im Lehrbereich die gängigen Rollenklischees hartnäckig halten. Dabei wird schon seit den 1970er-Jahren versucht, dies beispielsweise unter dem Motto „FIT – Frauen in die Technik“ zu ändern. Im März war dies Thema des ersten Gipfels der Sozialpartnerinnen, zu dem ÖGB-Vizepräsidentin Sabine Oberhauser und WKÖ-Vizepräsidentin Renate Römer geladen hatten. Denn fast die Hälfte der weiblichen Lehrlinge verteilt sich auf drei Lehrberufe: Einzelhandel, Bürokauffrau und Friseurin.
Die klassischen Lehrberufe bei den Burschen sind vielfältiger, unter den sechs besonders nachgefragten Berufen sind vier im Metallgewerbe, wie etwa Kfz-Techniker, Installateur, Elektriker, wo man verhältnismäßig gut verdient.
Eltern unterschreiben Lehrvertrag
Deutlich stärker ausgeprägt ist die Konzentration bei weiblichen Lehrlingen mit nicht österreichischer Staatsbürgerschaft, erklärte Regine Wieser vom Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung in ihrem Vortrag beim Gipfel. Doch es ist etwas in Bewegung gekommen, wie die Bildungsforscherin betonte. Auch wenn die Konzentration noch immer sehr hoch ist: Sie gehe langsam, aber stetig zurück. Inzwischen haben sich die Initiativen vervielfältigt, um Mädchen dazu zu motivieren, bei der Berufswahl auch technisch-handwerkliche Lehrberufe in Betracht zu ziehen. Allerdings seien diese Bemühungen wenig koordiniert, kritisierte Wieser.
Auch die Eltern müssten stärker in die Berufsorientierung einbezogen werden. „Am Ende unterschreiben die Eltern den Lehrvertrag, zumindest bei jenen, die unter 18 sind.“ So lange auch die Eltern der Meinung seien, dass die Kinder in traditionellen Berufen arbeiten sollten, könne sich bei den Jugendlichen nur schwer etwas verändern.
Eltern mit Migrationshintergrund müssten ebenso stärker eingebunden und vor allem über das österreichische Bildungssystem aufgeklärt werden. Das duale System gibt es so nur in Österreich – Menschen aus anderen Ländern müsste man darüber viel umfangreicher informieren, gibt Trinko zu bedenken.
Im Kindergarten ansetzen
Wenn sich bei der Berufswahl junger Menschen etwas ändern solle, müsse man schon sehr früh anfangen, also schon im Kindergarten, und auf allen Ebenen ansetzen – darin waren sich die TeilnehmerInnen des Sozialpartnerinnen-Gipfels und Gewerkschafter Michael Trinko einig. Nur dann könne erreicht werden, dass Jugendliche ihre Berufswahl nicht entlang von Klischees, Traditionen oder gar aufgrund des Geldbeutels der Eltern treffen – sondern auf Basis ihrer Talente und Interessen.
Link:
„Bildungsfundamente. Ziele und Maßnahmen für eine zukunftsorientierte Bildungsreform“
Hinterlasse einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar schreiben zu können.