Wie ich nun lese, gibt es über den Tatort von voriger Woche, „Ehre, wem Ehre gebührt“ eine Kontroverse. Fast schon hatte ich es erwartet. Denn es finden sich auf beiden Seiten immer Idioten, die entweder durch MigrantInnen den Untergang des Abendlandes sehen oder aber jene, die nicht über Tabus ihrer Gemeinschaften reden wollen. Bloß muss ich zugeben, dass mich der Anlass der Proteste überrascht hat.

Nämlich die Tatsache, dass im Tatort der Vater seine Tochter vergewaltigt und geschwängert hat: Der Vorwurf des Inzest sei ein altes Vorurteil, das Sunniten zum Vorwand nahmen, um AlevitInnen zu diskreditieren oder sie gar zu verfolgen, so die Begründung der Alevitischen Gemeinde Deutschlands.

Keine Frage, das ist ausgesprochen problematisch. Haben sich die MacherInnen des Films sich nicht mit VertreterInnen der alevitischen Gemeinde beraten? Wie den Aussagen der Regisseurin zu entnehmen ist, war das sehr wohl der Fall. Erstaunlich, und anscheinend war auch sie selbst überrascht, davon nicht früher gehört zu haben.

So sehr ich die Empörung der Alevitischen Gemeinde Deutschlands darüber verstehen kann, so wenig verstehe ich, dass sie mit einer Strafanzeige „wegen Volksverhetzung“ reagiert. Wer den Krimi gesehen hat weiß, dass der Film nichts dergleichen beabsichtigt.

Auch den Vorwurf, den die Gemeinde in ihrem Protestschreiben erhebt, die Regisseurin sei von „fanatisch sunnitischen Beratern instrumentalisiert“ worden, kann ich absolut nicht nachvollziehen. Selbst wenn ich nun um die problematische Verknüpfung von Inzest weiß, so sehe ich dennoch nicht, dass im Film bewusst mit diesem Vorurteil gegenüber Aleviten gespielt worden wäre.

Schließlich stößt sich die Gemeinde daran, dass sich die jüngere Tochter Selda – wohl als Reaktion auf das, was ihr angetan wurde – verschleierte und dem sunnitischen Islam zuwandte. Die Gemeinde sieht darin eine versteckte Werbung für die SunnitInnen. Das scheint mir aber eine zu kurz gegriffene Schlussfolgerung, vielmehr sehe ich darin einen Hinweis darauf, dass Schleier nicht immer mit Fundamentalisierung einher gehen müssen, sondern oftmals Ergebnis einer schwierigen Sinnsuche in einer Welt sind, die junge Menschen als feindlich empfinden. Viele junge MigrantInnen der dritten Generation wenden sich in Reaktion auf Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft oder aber auf Schicksalsschläge einer strengeren Auslegung des Islam zu – wenn auch oftmals bloß symbolisch, wie etwa mit dem Kopftuch, und weniger streng, als dies Selda tut.

Nein, der Krimi ist alles andere als vorurteilsbeladen oder oberflächlich. Er erzählt vielmehr eine vielschichtige Geschichte, die zum Nachdenken über Vorurteile und reale Probleme anregt. Zum Beispiel über den Vorwurf des Machismo, der Muslimen gegenüber gerne erhoben wird. Bloß wird die schwangere Kommissarin Charlotte Lindholm mit dem Machismo ihres deutschen (!) Vorgesetzten konfrontiert. Zum Beispiel über die anfängliche (Kurz-) Schlussfolgerung Lindholms, dass es sich ja unbedingt um einen Ehrenmord handeln muss, wenn es um eine türkische Familie geht.

Auch die Auseinandersetzung zwischen Lindholm und ihrem deutsch-türkischen Kollegen, Attila Aslan, ist recht aufschlussreich. Während sie ihm unterstellt, bei den „eigenen“ Leuten (der Kommissar ist selbst Alevit) die Augen zuzumachen, wirft er ihr vor, von Vorurteilen geblendet zu sein. Beides stimmt und stimmt wieder nicht, wie sich im Laufe des Films zeigt.

Als Schlussfolgerung schließlich will der Film eigentlich nahe legen, dass es sich in keinster Weise um einen religiösen oder kulturellen Hintergrund geht, sondern um das Thema sexueller Missbrauch. Den aber begehen leider Männer aus allen Kulturkreisen, von ihm sind Töchter aus allen Kulturkreisen betroffen, und vermutlich sind auch alevitische Familien davon nicht ausgenommen.

Insgesamt also ein Film, der sehr wohl wieder ausgestrahlt werden sollte, auch wenn er unter dem großen Makel leidet, offenbar zu wenig über das Thema AlevitInnen recherchiert zu haben. Zugleich ist auch die nun aufgeflammte Kontroverse wertvoll und sollte zum Anlass genommen werden, über AlevitInnen sowie deren Leben hier wie in der Türkei aufzuklären. Also NDR, auf geht´s, wenn ihr es mit Eurem öffentlichen Auftrag ernst meint!

Guter Kommentar dazu in der Berliner Zeitung:
„Ein Fernseh-Krimi will Vorurteile ausdrücklich vermeiden und löst harsche Proteste von Aleviten aus“

Links:
Interviews und Hintergründe auf tatort-fundus.de
Spiegel: „Aleviten protestieren bei Schäuble“
Netzeitung: „Altpapier vom Freitag“
taz: „“Tatort“ unter Verdacht“
taz: Aleviten-Sprecher Toprak attackiert ARD: „Es geht um den Inzest“