Auch wenn die baskische Terrororganisation weitgehend an Unterstützung verloren hat, hält sie Spanien in Atem – Die Gründe dafür sind nicht nur irrational (Ein Artikel für derStandard.at)


Wer im Baskenland lebt, kann dem dortigen Konflikt kaum entkommen. Allerdings nicht so sehr, weil die Gefahr terroristischer Anschläge so hoch ist. Vielmehr gibt es kaum jemanden, der nicht direkt oder indirekt Opfer oder Täter der ETA kennt. „Ein Beispiel dafür ist unser Haus“, erzählt Frauke Schulz-Utermöhl: Auf jeder Etage wohnen Opfer, Täter und/oder deren Angehörige Tür an Tür.

Die Deutsche ist Leiterin des Goethe-Instituts in San Sebastian, eine Stellung, die sie indirekt dem Konflikt „verdankt“: Der Mann der Vorgängerin wurde von der ETA ermordet, woraufhin die Frau kündigte. Schulz-Utermöhl folgte ihr nach.

Friedenszentrum

Von dieser Nähe zu Opfern und Tätern kann die Deutsche auch von ihrem Freundeskreis und jenem ihres Mannes, Juan Gutierrez, berichten: Ehemalige Etarras, wie die ETA-Terroristen in Spanien genannt werden, zählen die beiden ebenso dazu wie Angehörige von Opfern und Tätern. Dass dem so ist, hat allerdings auch berufliche Gründe: Gemeinsam gründeten die beiden das Friedenszentrum „Gernika Gogoratuz“. Dieses setzt sich nicht nur für eine Versöhnung im Baskenland ein, sondern auch für eine Versöhnung zwischen Spaniern und Deutschen.

Der Sitz des Friedenszentrums ist symbolisch für beides: Die Stadt, die international besser unter ihrem spanischen Namen Guernica bekannt ist, wurde von Hitler- Deutschland, dem Verbündeten des Diktators Francisco Franco, bombardiert.

Symbol der Basken

Während Guernica wegen des Gemäldes von Picasso weltweit zu einem Symbol für den Horror des Krieges wurde, ist es in der baskischen Schreibweise Gernika ein uraltes Symbol der Basken. Hier traf sich über Jahrhunderte die politische Vertretung der Basken – worauf man heute noch heute besonders stolz ist. Franco hatte diese Stadt nicht umsonst als Angriffsziel ausgewählt: Erstens kämpften die Basken auf Seiten der Republik, zweitens aber war die Region für den Diktator wegen der dortigen Industrie von Interesse.

Das heilige Nationalsymbol der Basken: Die Eiche in Gernika/Guernica, unter der bis 1876 die Ältestensräte aus dem ganzen Baskenland jährlich zusammenkamen, um eine Form von direkter Demokratie auszuüben.

Nach der Niederlage der Republik herrschte Franco fast 40 Jahre in Spanien – und unterdrückte alles, was im Widerspruch zum spanischen Nationalismus stand: Die baskischen Sprache wurde ebenso verboten (im Ürigen auch das Katalonische) wie der Gebrauch der Symbole. Auch die Anhänger des baskischen Nationalismus wurden verfolgt.

ETA und der Widerstand gegen Franco

Als Reaktion wurde Ende der 50er Jahre die ETA gegründet (eine Abkürzung für „Euskadi Ta Askatasuna“, „Baskenland und Freiheit“), ihr Kampf richtete sich gegen die Diktatur. Doch diese Zeit ist lang vorbei, das Baskenland hat eine weit reichende Autonomie: Selbst die Steuern hebt die autonome Region selbst ein, Madrid muss mit der Regierung verhandeln, wie viel die nordspanische Region an den Rest des Landes überweist; es gibt mit der Ertzaintza eine eigene Polizeieinheit, baskische Zeitungen sowie baskische Radio- und Fernsehstationen; die Baskische Fahne ist überall zu sehen und in vielen Regionen ist Baskisch die „Hauptsprache“. Vor allem aber zählt das Baskenland zu den reichsten Regionen Spaniens.

Und doch besteht die ETA weiter und übt nach wie vor eine große Macht aus. Eine Macht, die nicht im Verhältnis zu der Zahl der Terroropfer steht. „Es ist fast gespenstisch“, meint Gutierrez. So makaber diese Zählung ist: Dem ETA-Terror fielen in den vergangenen fünf Jahren gerade einmal zwei Menschen zum Opfer. „Trotzdem stehen nach wie vor 30.000 Menschen unter ständiger Bewachung von Bodyguards“, beschreibt Gutierrez die beinahe schon irrationale Macht der Terrororganisation.

Ablehnung der Unabhängigkeit

Irrational auch, weil die ETA zudem weitgehend an Unterstützung in der Bevölkerung verloren hat. Die von ihr angestrebte Unabhängigkeit wird in Umfragen von der Mehrheit der Befragten abgelehnt.

Die ETA strebt unter dem Schlagwort „Euskal Herria“ ein unabhängiges Baskenland an, das nicht nur die spanischen Provinzen Guipuzkoa, Alava und Viskaya umfasst, sondern auch Navarra und die drei französischen Départements (Labourd, Soule, Basse-Navarre) umfasst.

Dass dies vor nicht allzu langer Zeit noch anders war, führt der Friedensforscher in erster Linie auf den Bürgerkrieg und die Diktatur zurück sowie darauf, dass es in Spanien keine ernsthafte Aufarbeitung dieser Zeit gegeben hat.

Verzerrte Wahrnehmung

Bis heute gibt es im Rest von Spanien eine verzerrte Wahrnehmung des Baskenlandes, man begegnet den Basken mit großen Vorbehalten: „Wenn ich in Madrid auch nur irgendetwas Positives über das Baskenland sage, gelte ich sofort als ETA-Sympathisantin“, ärgert sich Schulz-Utermöhl.

Aber nicht nur die Menschen reagieren mitunter irrational auf den Konflikt, auch die Regierungen. „Freunde von uns saßen im Gefängnis, weil sie Flugblätter verteilt für eine Organisation, die sich für Gefangene einsetzte. Ihnen wurde daraufhin Unterstützung der ETA vorgeworfen.“ Als weiteres Beispiel nennen die den Sohn von Freunden von ihnen. Er schrieb für eine Zeitung, die von einer Jugendorganisation herausgegeben wird, welche der inzwischen verbotenen Partei Batasuna nahe steht. „Gleich mehrere Jahre saß er deshalb im Gefängnis.“ Hintergrund dafür sind strenge Gesetze, nach denen nicht nur die Batasuna, der politische Arm der ETA, sondern auch so manche Zeitung verboten wurde.

Ungelöste Themen

Das zeigt, dass der baskische Konflikt nach wie vor ungelöste Themen beinhaltet. Am deutlichsten wird dies an der Frage der inhaftierten Etarras. Sie sitzen zumeist in Gefängnissen, die tausende Kilometer vom Baskenland entfernt liegen. Damit wollte man verhindern, dass sich die Häftlinge im Gefängnis verschwören oder gar von dort aus neue Aktionen organisieren. Bis heute trägt es allerdings dazu bei, dass neue ETA-Sympathisanten nachwachsen.

In der Hauptstadt der autonomen Region Baskenland, Vitoria: Bilder von verhafteten Etarras.

Denn es sind Gefangenenorganisationen, die Busfahrten für die Angehörigen organisieren. „Sie können sich vorstellen, was für eine Dynamik das hat, wenn lauter Angehörige am Freitagabend in den Bus steigen, stundenlange Fahrten in Kauf nehmen müssen, um die inhaftieren Familienmitglieder ein paar Stunden zu sehen, bei diesen Treffen sich vielleicht nicht einmal auf Baskisch unterhalten können, um dann wieder stundenlang gemeinsam zurückfahren“, illustriert Schulz-Utermöhl.

Verhandlungsgegenstände

Dennoch hält auch die Regierung Zapatero an dieser Praxis fest. Bis zu einem gewissen Grad scheint dies Kalkül zu sein, denn neben der Unabhängigkeit des Baskenlandes, die für beide Großparteien nicht in Frage kommt, bleibt aufgrund der weitreichenden Autonomie des Baskenlandes nicht viel, über das sich mit der ETA verhandeln ließe.

„Ich habe Innenminister Oreja (Jaime Mayor Oreja war Innenminister der Regierung Aznar von 1996 bis 2001, Anm.) einmal gesagt, dass man diese Praxis endlich ändern sollte. Doch er erwiderte mir, dass die Gefängnisfrage eine wichtige Karte ist, die man nicht voreilig ausspielen könne“, erzählt Gutierrez. Auch bei den gescheiterten Bemühungen von Premier Zapatero galt die Verlegung der Gefangenen als eines der zentralen Themen.

Eiertanz

So scheinen alle am Konflikt beteiligten Parteien einen Eiertanz aufzuführen: Die ETA will von der Unabhängigkeit nicht lassen, auch wenn sie dafür keine Mehrheit finden würde, die Regierung verlegt die Gefangenen nicht, weil sie sonst fast gar nichts mehr zu verhandeln hätte, die PP torpedierte jegliche Friedensbemühungen, obwohl diese von der Mehrheit der Spanier unterstützt wurden.

Auf dem Transparent in der Mitte wird die Überführung baskischer Häftlinge ins Baskenland gefordert. Aufgenommen in Pasajes, einem Nachbarort von San Sebastián.

Aber es gehört zur Logik (oder Unlogik) des Konflikts, dass Realität und Vorstellungen oft weit auseinander klaffen – für Gutierrez auch einer der Gründe, warum Premier Zapatero mit seinen Bemühungen um eine Konfliktlösung erfolglos war. Denn die ETA sei mit der Vorstellung in die Verhandlungen gegangen, tatsächlich die Unabhängigkeit erreichen zu können (siehe Interview). Seiner Ansicht nach kam es, wie es kommen musste: Die Verhandlungen scheiterten, die ETA verübte einen Anschlag und kündigte einige Monate später die Waffenruhe auf.

Ob sich der Konflikt nicht trotzdem bald von selbst erledigen könnte, wenn die ETA eigentlich keine breite Unterstützung mehr in der Bevölkerung findet? Man merkt es den beiden an, wie zögerlich sie auf diese Frage nur antworten wollen. Selbst die Verhaftungen von Schlüsselfiguren der ETA sehen sie mit Skepsis: „Wie oft haben sie schon gesagt, dass sie Schlüsselleute festgenommen haben, wie oft? Und sie wachsen nach!“, meint Schulz-Utermöhl kopfschüttelnd.

Das Paradoxe aber ist, erkärt Gutierrez, dass die ETA trotz ihrer Macht, die sie nach wie vor ausübt, dem Ziel der Unabhängigkeit um keinen Schritt näher gekommen hat. Was die ETA aber dennoch am Leben halte, sei aber genau dieses Gefühl der Macht: „Das überlagert alles andere.“