Einserfrage an Zeithistoriker Oliver Rathkolb, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Europäische Geschichte und Gesellschaft. Ein Interview für derStandard.at.


derStandard.at: John Gudenus behauptet in seiner jüngsten Aussage gegenüber dem STANDARD, es habe im „Dritten Reich“ keine Gaskammern gegeben, sondern nur in Polen. Wie definiert sich eigentlich das „Dritte Reich“?

Oliver Rathkolb: Das ist ein problematischer Begriff, der aus der NS-Propaganda stammt. Das heißt, wenn man ihn verwendet, dann nur unter Anführungsstrichen.

Der Begriff hat immer den NS-Expansionismus in sich getragen, er bezieht sich also nicht auf Hitler-Deutschland in den Grenzen von 1937, und ist daher doppelt problematisch. Das „Dritte Reich“ war per se ein auf Expansion ausgerichtetes Reich und vor allem durch den Angriffskrieg ab 1939 ist die „Vorwärtsstrategie“ klar und die Zerschlagung Polens ein absolutes Kriegsziel.

Wenn man also den Begriff verwendet, so muss man sich bewusst sein, dass man einen Propagandabegriff verwendet, der ab 1939 eine ganz klare Konnotation hat, nämlich das großdeutsche Reich in der Mitte Europas.

derStandard.at: Kann man überhaupt eine solche Differenzierung machen?

Rathkolb: Die Differenzierung, die der Herr Bundesratsabgeordnete getroffen hat, ist schlichtweg absurd und in keiner Form auch nur ansatzweise nachvollziehbar. Sie würde bedeuten, dass man die Verantwortung für Auschwitz dem damals nicht exisiterenden polnischen Staat überantwortet. Meiner Ansicht nach disqualifiziert das in jeder Hinsicht, ein derartiges Amt (Abgeordneter des Bundesrates, Anm.) auszuüben.

derStandard.at: Gudenus impliziert mit seiner Aussage, dass es zum Beispiel in Österreich keine Gaskammern gegeben hätte. Trifft das zu?

Rathkolb: Das ist eine alte revisionistische Debatte, die keinerlei Bedeutung hat. Alle entsprechenden Hinweise, Fragen und Diskussionen sind längst im wissenschaftlichen Bereich ausgeräumt und auch mehrfach von Gerichten entsprechend entschieden worden. Wer hier versucht eine Diskussion zu eröffnen, ist meiner Meinung nach durchaus im Bereich klagbarer Tatbestände.

derStandard.at: Auschwitz steht als Symbol für die Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Was passierte in den anderen Lagern: Wurde da etwa nicht gemordet?

Rathkolb: Natürlich, die Palette der nationalsozialistischen Vernichtungsstrategie ging wesentlich weiter, von medizinischen Versuchen über brutalste Ausbeutung durch Arbeit – der Vernichtungsphantasie der Nationalsozialisten waren keine Grenzen gesetzt. Auch das ist meiner Meinung nach ein Versuch, die Gesamtdimension des Verbrechens zu reduzieren.

derStandard.at: Fallen die Aussagen von Gudenus unter die Auschwitzlüge? Bzw. wie wird Auschwitzlüge definiert?

Rathkolb: Ich hoffe dass es bald einen entsprechenden juristischen Zugang zu dieser Frage gibt. Meiner Meinung nach geht das schon in die Richtung, die in der Intention des Gesetzes liegt. Es geht ja nicht nur um die simple, platte Aussage, „Es hat Auschwitz nie gegeben.“ Da kann ich genauso sagen, „Es hat nie Nationalsozialismus gegeben.“

Bei der Auschwitzlüge geht es vielmehr darum, durch klare aber letzten Endes indirekte Codes genau in diese Richtung zu zielen. Und dieser Tatbestand ist meiner Meinung nach eindeutig erfüllt worden und ich kann die bisherige Argumentation der Staatsanwaltschaft in keiner Weise nachvollziehen. (8. 6. 2005)