Was, wenn es ein Gesetz gibt, doch dieses Gesetz kommt mit der Welt nicht mehr mit? So ähnlich könnte man die Kontroversen zusammenfassen, die es über die gesetzliche Regelung zur die Veröffentlichung der Wahlergebnisse in Frankreich gibt. Eigentlich ist es ganz einfach: Um 20 Uhr schließen die letzten Wahllokale und ab diesem Zeitpunkt dürfen Prognosen und Ergebnisse veröffentlicht werden. Doch natürlich kursieren diese bereits vorher. Das ist auch in Österreich so: Mit Sperrfrist versehen trudeln per APA in den Redaktionen auch schon früher Ergebnisse ein, veröffentlicht werden diese mit Ende der Sperrfrist.
Bei der letzten französischen Präsidentschaftswahl im Jahr 2007 aber pfiffen belgische und schweizer Medien auf die Sperrfrist und veröffentlichten – ungestraft, da die französische Gesetzgebung bei ihnen natürlich nicht gilt – diese Prognosen. Nun ja, und nicht erst in Zeiten von sozialen Medien verbreiten sich diese Infos natürlich überall – auch in Frankreich.
Die moralische Frage, die nun im Raum steht, lautet: Was, wenn damit Ergebisse beeinflusst werden? Was, wenn etwa im Jahr 2002 schon um 18 Uhr klar gewesen wäre, dass Jean-Marie Le Pen in den zweiten Wahlgang gekommen ist? In den großen Städten waren zu diesem Zeitpunkt die Wahllokale noch offen und was, wenn diese Nachricht noch WählerInnen dazu motiviert hätte, wählen zu gehen, um dieses Ergebnis zu verhindern? Immerhin hatte Le Pen nicht einmal 200.000 Stimmen Vorsprung vor dem Sozialisten Lionel Jospin.
Nun kann man erstens hinterfragen, ob wirklich in so kurzer Zeit noch so viele Menschen mobilisiert werden könnten, um das Wahlergebnis tatsächlich noch zu beeinflussen. Zweitens scheint die Diskussion allein schon deshalb ein wenig unehrlich, weil in den französischen Überseegebieten bis zur Wahl im Jahr 2007 auch erst gewählt wurde, als die Ergebnisse am französischen Festland bereits feststanden.
Der Nachrichtenchef des belgischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders RTBF, Christian Dauriac, erklärte kürzlich in einem Interview mit der Libération, dass sein Sender auch dieses Jahr wieder dann mit Hochrechnungen rausgehen würde, wenn ihnen solche vorlägen. Er begründet dies einerseits mit dem Interesse des belgischen Publikums und damit, dass er es immer schon seltsam gefunden hätte, vor den BürgerInnen über Tendenzen Bescheid zu wissen. Allerdings sagt er auch, dass es eine gewisse Genugtuung sei, diese vor den französischen KollegInnen zu haben. Leider wird er nicht dazu befragt, wie er es sehen würde, wäre die Situation umgekehrt.
Was mich an der ganzen Diskussion wundert ist, dass sie anhand der sozialen Medien, insbesondere Twitter abgehandelt wird. Schon ab dem Zeitpunkt, als Fernsehsender nicht nur in jenem Land empfangen werden konnten, in dem sie ausgestrahlt wurden, gibt es Spannungsfelder wie dieses. Über die sozialen Medien verbreiten sich die Informationen lediglich schneller und sie sind deutlich einfacher zugänglich.
Doch bei all dem hin und her komme ich immer wieder zur gleichen Feststellung zurück: So lange Wahllokale geöffnet sind, hat das Volk nicht gesprochen. Und so lange sollte man sich immerhin aus Respekt vor dem demokratischen Vorgang gedulden können, um zu erfahren, wie diese Wahl ausgegangen sein könnte. Ich sage bewusst könnte, denn es soll auch schon Wahlen gegeben haben, bei denen das Endergebnis anders aussah als die erste Prognose – nach Ende der Sperrfrist.
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