Es ist Donnerstagabend und schon eineinhalb Stunden vor dem offiziellen Wahlkampfauftritt des Kandidaten der Linksfront, Jean-Luc Mélenchon, sollen sich bereits die ersten AnhängerInnen im Messepalast im Süden von Paris eingefunden haben. „JLM plaudert mit den ersten Gästen“, geht ein Tweet vom Account von Mélenchon ab. Eine Stunde vorher, um 18 Uhr, sind in der Straßenbahn auf dem Weg dorthin bereits einige rote Fahnen der Kommunistischen Partei zu sehen und an der Porte de Versaille dann ist an den vielen mit roten Fahnen ausgerüsteten Menschen unübersehbar, dass hier eine Wahlkampfkundgebung einer linken Partei stattfindet. Vor dem Eingang verteilen Palästina-Komitees Flugblätter, es gibt Essensstände, Plakate und Fahnen der Linksfront werden unter die Leute gebracht und am Eingang spielt eine Big-Band.

Die Halle füllt sich beständig, auch drinnen gibt es Fahnen und es werden Schilder mit der Forderung nach der „6. Republik“ verteilt. Es läuft Musik und die Gäste unterhalten sich unter anderem darüber, ob Mélenchon es vielleicht sogar in die Stichwahl kommen könnte. Das Publikum ist bunt gemischt und vor allem sind hier viele junge Menschen. „Um 19 Uhr soll er kommen, bis dahin hören wir Musik und reden“, meint einer von ihnen zu einer Freundin. In einer Ecke wird die Internationale angestimmt, als „Bella Ciao“ gespielt wird, singen einzelne mit.

Um kurz nach 19 Uhr besteigen die VorrednerInnen die Bühne, allesamt sehr bewegt von diesem für viele erstaunlich gut gelaufenen Wahlkampf. Es ist vielen anzumerken, wie erleichtert sie sind, dass jene Zeiten vorbei zu sein scheinen, in denen die Kommunistischen KandidatInnen im einstelligen Bereich lagen. Im Moment halten es manche sogar für möglich, dass der charismatische Kandidat Mélenchon Le Pen den dritten Platz streitig macht.

Als Mélenchon die Bühne betritt, kennt der Jubel fast keine Grenzen. Es ist interessant, diesen Politiker zu beobachten. Seine Rede beginnt launig und humorvoll, um dann wütend zu werden. Wütend auf jene, die ihm nicht geglaubt haben, als er vor den negativen Konsequenzen der EU-Wirtschaftspolitik gewarnt hatte, und die ihn zum Spinner erklärt haben. Wütend auf jene, die seine Forderung nach einem Mindestlohn von 1.700 als illusorisch abtun – wo doch in diesem Land Menschen leben, die schon Mitte des Monats nicht wissen, wie sie bis zum Monatsende mit ihrem Geld durchkommen sollen. Wütend auf jene, die Menschen gegeneinander ausspielen. „Ich habe die Schnauze voll vom Gerede von der Integration der dritten Generation. In diesem Land isst jeder Merguez und Couscous“, sagt er und sorgt damit für großen Jubel.

Mit dieser kämpferischen Wut scheint er ein Gefühl von vielen Menschen zu kanalisieren. Aber auch jenes Gefühl oder vielmehr jene Hoffnung, die sich in dem Satz „eine andere Welt ist möglich“ ausdrückt. Er will „l´humain“, das „Menschliche“ wieder in den Vordergrund stellen, die Wirtschaft soll wieder eine menschliche Sprache spricht und nicht jene der Buchhalter. Der ist nicht nur wütend, immer wieder wird er auch poetisch. „Habt Geduld, meine Freunde, der Tag ist angebrochen. Dieses System liegt in den letzten Zügen“, ruft er seinen AnhängerInnen zu. Diese hätten bereits einiges bewegt und den sozialistischen Kandidaten Francois Hollande unter Druck gesetzt, so dass er auch das Thema Mindestlohn aufgegriffen habe – wenn auch noch zu zurückhaltend, für Mélenchons Geschmack.

Deshalb sein Aufruf. noch mehr Lärm zu machen, noch mehr Druck auszuüben. Als sich Mélenchon bei seinen AnhängerInnen für ihr Engagement bedankt, jubelt der Saal. „Wir kommen in die Stichwahl“, ruft ein Anhänger. Und wie es so üblich ist bei den Treffen, wird nicht nur die Marseillaise gesungen, sondern auch die Internationale. In Massen strömen die nun noch ein letztes Mal motivierten AnhängerInnen wieder aus der Halle und quetschen sich in Busse, Metros und Straßenbahnen. (Dieser Artikel erschien auch auf www.paroli-magazin.at)